Seit ihrer Entdeckung in den 1960er Jahren gehört die Macchiabate-Nekropole von Francavilla Marittima im nördlichen Kalabrien zu den Schlüsselfundstellen, wenn es darum geht, die Begegnung zwischen den Griechen und den einheimischen eisenzeitlichen Kulturen im südlichen Italien im 8. Jh. v. Chr. zu beurteilen. 40 Jahre nach Beendigung der ersten Ausgrabung durch die italienische Archäologien P. Zancani Montuoro hat die Universität Basel die Erforschung des Gräberfeldes wieder aufgenommen, mit dem Ziel, die alten Grabungen auf neue Grundlagen zu stellen und den Beginn des Kulturaustausches zwischen den indigenen und den griechischen Akteuren des Migrationsprozesses neu zu beleuchten. Im Band werden die Ergebnisse der Ausgrabungen 2009 bis 2016 vorgestellt und kulturgeschichtlich verortet.
Die eisenzeitliche Siedlung von Francavilla Marittima im Norden Kalabriens gehört zu den wichtigsten Kontaktorten zwischen der lokalen Bevölkerung und den Griechen und Levantinern, die im frühen 1. Jahrtausend v. Chr. nach Italien expandierten. Seit ihrer Entdeckung und ersten Erforschung durch die italienische Archäologin Paola Zancani Montuoro nimmt der Ort zusammen mit der zugehörigen Nekropole auf dem Plateau der Macchiabate eine Schlüsselstellung ein in der Diskussion um die frühen kulturellen Austausch- und Aneignungsprozesse im westlichen Mittelmeerraum. Massgeblich ist dabei die Tatsache, dass um 720/10 v. Chr. in rund 10 km Entfernung von Francavilla Marittima und damit in Sichtdistanz die griechische Kolonie Sybaris gegründet wurde. Wie sich diese permanente griechische Präsenz auf die Rolle und das Selbstverständnis der einheimischen Bevölkerung im Hinterland der Kolonie ausgewirkt hat, ist Gegenstand einer andauernden Kontroverse. Dem Modell eines schnellen und radikalen Wandels des einheimischen Kulturraums in eine griechische Chora steht die These eines allmählichen Verschmelzens der einheimischen mit der griechischen Welt gegenüber. Namentlich die Gräber spielten dabei als geschlossene Kontexte eine wichtige Rolle. Die Basler Ausgrabungen in der Nekropole verfolgen das Ziel, neue Grundlagen für die Beurteilung des kulturellen Transformationsprozesses an der Schwelle von der Eisenzeit zur kolonialen Epoche zu liefern. Im vorliegenden Band werden die Ausgrabungsergebnisse der Jahre 2009 – 2016 in den Bestattungsarealen Strada und De Leo veröffentlicht. Sie zeugen von der Vielfalt der Reaktionen auf das Fremde im einheimischen Grabritual und legen zugleich die Annahme nahe, dass die dauerhafte Niederlassung von Griechen an der Küste das einheimische Kulturgefüge im Hinterland tiefgreifend verändert hat. Obschon punktuell in der Nekropole auch im 7. Jahrhundert v. Chr. noch neue Gräber angelegt wurden, belegt der Abbruch der Bestattungstätigkeit im Areal Strada um 700 v. Chr., dass sich die einheimische Siedlungsgemeinschaft zu dieser Zeit im Umbruch befanden. Die vorliegende Publikation liefert damit einen Beitrag zur Erforschung früher Migrations- und Mobilitätsprozesse im Mittelmeerraum und der damit verbundenen Frage von kultureller Identität.
Martin A. Guggisberg
Martin A. Guggisberg (*1960) ist Professor für Klassische Archäologie an der Universität Basel. Nach dem Studium in Basel verbrachte er mehrjährige Forschungsaufenthalte in Rom, London und Marburg und war Assistent und Oberassistent an der Universität Bern. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Archäologie früher Eliten, kulturelle Austauschprozesse im Mittelmeerraum, Italien in der Eisenzeit, die keltische Kunst sowie die Kunst der Spätantike. Seit 2009 leitet er die Ausgrabungen der Universität Basel in Francavilla Marittima, Kalabrien.
Camilla Colombi
Camilla Colombi (*1980) ist Referentin an der Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen Instituts. Sie hat Klassische Archäologie, Vorderorientalische Archäologie und Alte Geschichte in Basel studiert und wurde 2014 mit einer Arbeit zur etruskischen Nekropole von Vetulonia in der orientalisierenden Periode in Basel promoviert. Nach Auslandsaufenthalten in Florenz und Rom war sie Assistentin an der Universität Basel. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Etruskologie und italische Archäologie, die präkoloniale Zeit in Unteritalien, die Gräberfeldarchäologie, die Kulturkontaktforschung und die digital Humanities.