Im Hinterhofbereich der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung in der Stadt Konstanz, der Hussenstraße, wurden 1986–1987 großflächige Untersuchungen durchgeführt. Nach der Aufsiedlung im 11. Jahrhundert entwickelte sich hier bis ins 14. Jahrhundert ein sozial gehobenes Quartier. Die Auswertung erfolgte in einem interdisziplinären Ansatz, ausgehend von der städtebaulichen und historischen Einbettung des Quartiers und der Auswertung der Befunde über die Vorlage des Fundmaterials aus Leder, Glas, Keramik und Metall bis hin zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen der Tierknochen und Überreste von Insekten, die Rückschlüsse auf die Ernährung der Bewohner und die hygienischen Verhältnisse erlauben.
Nach dem 2018 erschienenen Band über die Konstanzer Marktstätte (Forschungen und Berichte zur Archäologie in Baden-Württemberg Bd. 5) hat die Aufarbeitung einer zweiten großen Konstanzer Grabung ihren Abschluss gefunden. Im Hinterhofbereich der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung in der Stadt, der Hussenstraße, wurden 1986–1987 großflächige Untersuchungen durchgeführt. An deren Auswertung waren zahlreiche Fachleute verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen beteiligt. In einem breit gespannten interdisziplinären Ansatz erfolgt, ausgehend von der Einbettung des Quartiers in städtebaulicher, bauhistorischer und historischer Hinsicht durch Frank Mienhardt, Frank Löbbecke und Hilde Bibby die Auswertung der Befunde durch Ralph Röber. Vorgelegt wird darüber hinaus Fundmaterial aus Leder, Glas, Keramik und Metall durch Dorothee Ade, Jori Fesser, Andrea Nölke, Ralph Röber sowie Serge und Marquita Volken. Naturwissenschaftliche Untersuchungen von Ralf-Jürgen Priloff und Edith Schmidt zu den Tierknochen und Überresten von Insekten erlauben Rückschlüsse auf die Ernährung der Bewohner, sowie den Pflanzenbewuchs und die hygienischen Verhältnisse in diesem Areal.
Die ältesten Funde, darunter eine Zwiebelknopffibel, stammen aus römischer Zeit, sind allerdings verlagert. Trotz unmittelbarer Nähe zur frühmittelalterlichen Kirche St. Paul erfolgte eine Aufsiedlung erst ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Noch um 1300 war die Straßenfront nicht durch Häuser geschlossen. Es entwickelte sich in dieser verkehrsgünstigen Lage ein sozial gehobenes Quartier, was sich im archäologischen Material unter anderem durch die Reste von Schutzbewaffnung, kostbaren Gläsern und Gefäßen für die Destillation äußert. Aber auch die Einfuhr von Heidelbeeren, vielleicht auch Pfirsichen, Mandeln und Maulbeeren, bis zu Luxusgütern wie Feigen und Granatäpfeln zeigen die finanziellen Möglichkeiten der Bewohner. Im Rahmen einer allgemeinen Blüte der Stadt in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts verlangte der Bebauungsdruck die Anlage von Hinterhäusern. Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts, in einer Zeit der religiösen und politischen Krisen, aber auch von Hungersnot und Pest, ist ein Stillstand zu beobachten, der erst im 15. Jahrhundert überwunden wird. Die Hinterhöfe der Wohnhäuser wurden multifunktional genutzt: Als Zier- und Nutzgärten, zur Haltung von Kleinvieh, vielleicht auch zur Aufstallung von Pferden und, wie es damals üblich war, zur Errichtung von Latrinen. Nicht nur diese, sondern auch Misthaufen, modernde Hölzer und offen zutage liegende Lebensmittelreste haben ein hohes Infektionsrisiko bedeutet, und es ließ sich ein Befall der Bewohner durch verschiedene Parasiten nachweisen.
Prof. Dr. Ralph Röber, Promotion 1987 an der Westfälischen-Wilhelms-Universität, Münster. Nach mehrjähriger Tätigkeit am Westfälischen Museum für Archäologie – Fachreferat Mittelalter Wechsel als Konservator für Mittelalter und Frühe Neuzeit an das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg. Von 2000–2012 als Leiter der Arbeitsstelle Konstanz in Teilzeit abgeordnet an das Landesamt für Denkmalpflege. Seit 1994 Lehrtätigkeit an den Universitäten Konstanz und Tübingen, dort 2005 zum Honorarprofessor ernannt. Initiator und Leiter des seit 1997 bestehenden Arbeitskreises zur archäologischen Erforschung des mittelalterlichen Handwerks, von 2005–2017 Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Zahlreiche Publikationen besonders zu Fragen der Sachkultur, des Handwerks und der Stadtgeschichte.
Die „Forschungen und Berichte zur Archäologie in Baden-Württemberg “ erscheinen ab 2016 als neue, hochwertige monographische Reihe des Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Die neue Reihe vereint die drei etablierten archäologischen Reihen des Landesamts (Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte, Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters sowie die Materialhefte zur Archäologie), die sich inzwischen inhaltlich und in ihrem Umfang kaum mehr voneinander unterscheiden, in einem neuen, modernen Design.
In der Reihe erscheinen in erster Linie Monographien, daneben aber auch Sammelwerke wie z. B. Tagungsbände. Die publizierten Forschungsergebnisse resultieren vor allem aus archäologischen Ausgrabungen der Landesdenkmalpflege, die häufig im Rahmen von akademischen Abschlussarbeiten aufgearbeitet wurden. Thematisch wird die Archäologie in ihrer gesamten zeitlichen Tiefe abgedeckt, von der Vor- und Frühgeschichte über die Provinzialrömische Geschichte und das frühe Mittelalter bis zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Die neue Reihe ist das wissenschaftliche Aushängeschild der archäologischen Denkmalpflege in Baden-Württemberg.