Vom Umgehen mit dem Unerträglichen in der Psychotherapie –
Musiktherapeutische Aneignung und Gestaltung von Zeit
2009 DOI: https://doi.org/10.29091/9783752001877/003 Seite 13 - 33 9783752001877_003.pdf 142,3 KBDas existenzielle Phänomen der Unerträglichkeit ist untrennbar verbunden mit Affekt, Emotionalität und Krise. Es werden tiefenpsychologische Theorieelemente rund um präsymbolische traumatische Erfahrungen und deren nachträgliche Symbolisierung vorgestellt (Tenbrink, 2000). Im Zentrum steht die 10-jährige Therapie psychodynamischer Prägung mit Ariana,einer psychisch stark auffälligen geistig behinderten Frau, deren Leben von archaischer Angst und emotionalem sowie sozialem Chaos bestimmt war. Die wachsende Tragfähigkeit der Beziehung zwischen Therapeutin und Patientin ermöglichte die Selbstwerdung und Heilung der Frau: Nachreifung der Persönlichkeit, einhergehend mit emotionaler Differenzierung; Wiederherstellung von Zeit- und Raumerleben (Niedecken, 1994) und anderem mehr. Ariana vermied das Spielen auf Musikinstrumenten grundsätzlich, die singende Stimme durfte jedoch sein. Ihre Ressource war eines ansehnliches Repertoires an Liedern. Beispiele zeigen die Spiegelfunktion des Situationsliedes; die Unterscheidung von innerer und äußerer Realität mittels Refrain; wie Liedtexte zu Metaphern für innerpsychische und zwischenmenschliche Vorgänge werden; wie eine beobachtende, kommentierende Meta-Ebene etabliert wird. Deutung durfte über lange Zeit nur im Lied erfolgen und singend gelang die Anbahnung von einem „Sprechen im interpretierenden Modus“ (Ornstein 2009), welches der Patientin einen Einstieg in Akte der Selbstrefl exion ermöglichte, die sie zunehmend autonom nutzen lernte – innerhalb und außerhalb der Therapie. Die Musik war nicht zuletzt auch Halt für die Therapeutin selbst, wenn es um die Aufrechterhaltung des Settings und die Funktion des Containments ging. Dieser Beitrag gründet auf einem gleichnamigen bislang unveröffentlichten, überarbeiteten Vortrag auf dem 3. Weltkongress für Psychotherapie in Wien im Jahre 2002 und schreibt hier diese außergewöhnliche Therapieerfahrung weiter.