Im Band 1 der Schriften aus dem Brentano-Haus präsentiert die Autorin bekannte und neue Quellen sowie ausgewählte Fachliteratur zur bewegten Lebensgeschichte der Karoline von Günderrode (1780-1806). Die philosophische Dichterin der Frühromantik widersprach vehement Geschlechterrollenfixierungen, ersehnte stets freies selbstbestimmtes Leben und authentische Liebe. Günderrodes Ferienaufenthalte und der Suizid in Winkel im Sommer 1806, die Bestattung und Geschichte der Grabstätte auf dem Friedhof St. Walburga werden hier zum ersten Mal umfassend dargestellt. Zahlreiche Abbildungen ergänzen den Band.
Der von der Sozial- und Geschichtswissenschaftlerin Ute Weinmann vorgelegte Band 1 der Schriftenreihe aus dem Brentano-Haus erforscht die Lebensgeschichte der 1780 in Karlsruhe geborenen frühromantischen Dichterin Karoline von Günderrode mit besonderem Fokus auf ihre Ferienaufenthalte und ihren Suizid in Winkel. Zentrales Anliegen der Autorin ist es, die Erinnerungskultur an die Günderrode im Rheingau und im interdisziplinären Diskurs der Romantik aus biografie-, literatur- und stadtgeschichtlicher Perspektive (auch für Studierende und SchülerInnen) aktiv wachzuhalten.
Nach einer kenntnisreichen wissenschaftlichen Einordnung des Günderrode-Themas auf Basis rezipierter Forschungsliteratur mit Hinweisen auf entsprechendes Quellenmaterial bietet das Buch in 13 Kapiteln ein differenziertes Themenspektrum mit zahlreichen Abbildungen. In der Arbeit werden weit verbreitete Mythen und einseitige Vorannahmen bezüglich Herkunft, Aufenthalt im Frankfurter Stift, Freundeskreis, Suizidmotiven und Geschichte der Grabstätte kritisch analysiert. U.a. konnten aus dieser Perspektive viele neue Erkenntnisse gewonnen werden.
Karoline von Günderrode stammte aus einer sehr bekannten, weit verzweigten Frankfurter Adelsfamilie und lebte zunächst in Karlsruhe, später nach dem Tod ihres Vaters (1786) mit ihrer früh verwitweten Mutter und ihren fünf Geschwistern in der Literaturstadt Hanau, ab 1797 im von Cronstett und von Hynsperg adelich-evangelisches Stift in Frankfurt am Rossmarkt und sporadisch bei ihren Großeltern mütterlicherseits auf deren Familienanwesen in Butzbach. Hinzu kommen Besuche und Ferienaufenthalte u.a. bei Familie Leonhardi in Lengfeld im Odenwald, auf Gut Trages bei Savignys, in Sickershausen bei Lisette und Christian Nees, in Heidelberg bei FreundInnen, in Winkel am Rhein. Ihre literarische Schaffensphase war sehr kurz. Zu ihren Lebzeiten veröffentlichte sie neben einigen Beiträgen in Literaturzeitschriften zwei Bücher unter dem meist männlich assoziierten Pseudonym „Tian“: 1804 erschien ihre erste Publikation „Gedichte und Phantasien“. Im April 1805 folgte mit einem Umfang von 221 Seiten die Veröffentlichung „Poetische Fragmente“.
In Winkel, wo Karoline von Günderrode als 26-jährige junge Frau im Sommer 1806 am Rheinufer unterhalb von Bartholomä ihr Leben nach männlich-konnotierter Suizidmethode mit einem Dolch beendete, hinterließ sie an verschiedenen Stellen ihre Spuren. Mit ihrem frühen Tod erhoffte sie sich Befreiung und Weiterleben in einer anderen Welt im Jenseits. In diesem Kontext sind Briefwechsel, Zeitzeugenberichte, Kirchenbucheintragungen, ein Testament an die Kirche St. Walburga, literarische Texte, Erinnerungen und bestimmte historische, heute teilweise noch existierende Orte und Wege, die in Verbindung mit Günderrodes Aufenthalt in Winkel stehen, von hoher Relevanz.
„Über die Dichterin Karoline von Günderrode wurde schon viel geschrieben, auch über ihren Suizid am Winkeler Rheinufer, wo sie sich am 26. Juli 1806 erdolchte. Nun hat die seit zwölf Jahren in Winkel lebende Sozial- und Geschichtswissenschaftlerin Dr. Ute Weinmann ein Buch geschrieben, ist Spuren gefolgt, hat bekannte Quellen präsentiert und neue recherchiert, die bisher noch nicht dokumentiert und ausgewertet worden waren. Herausgekommen ist ein erkenntnisreiches und reich bebildertes Werk, das auch ein spannend zu lesendes Buch über die Zeit der Frühromantik und die Beziehungen der Literatinnen und Literaten untereinander ist. […]“
Von Christa Kaddar
In: Rheingau Echo Nr. 24, 15.06.2023
Ute Weinmann, Dr. phil., Sozial- und Geschichtswissenschaftlerin in Berlin und Hessen: Bis 1987 FU Berlin und bis 2015 ltd. Direktorin in Berliner Senatsverwaltungen. Verschiedene Veröffentlichungen u.a. über Gewalt gegen Frauen, Mittelalterliche Frauenbewegungen, Normalität und Behinderung, Gender Mainstreaming/Gender Budgeting. Lebt seit 2011 in Oestrich-Winkel .