Ziel der Arbeit ist die Etablierung der prosodischen Rekonstruktion – insbesondere höherer prosodischer Einheiten wie der Intonationsphrase oder der prosodischen Phrase – als eines neuen Teilgebiets der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft. Inzident entwickelt sie ein neues Modell zur Erfassung prosodischer Struktur auch moderner Sprachen und führt eine neue, auf einer grundlegenden Korrespondenz von prosodischen mit pragmatischen Einheiten basierende Methode für die prosodische Rekonstruktion ein. Empirisch liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf dem Altgriechischen; Datengrundlage ist ein in sich geschlossener Teilabschnitt von Herodots Historien (sog. Kroesus-Logos, Hdt. 1.6 – 94).
Discourse Pragmatics and Prosodic Reconstruction verarbeitet Erkenntnisse aus der historisch-vergleichenden, griechischen und allgemeinen Sprachwissenschaft zu einem kohärenten Rahmenwerk für die prosodische Rekonstruktion nicht nur altindogermanischer Sprachen. Kapitel 1 stellt den theoretischen Rahmen vor, innerhalb dessen die Pragmatik eine zentrale Rolle bei der sprachlichen Formulierung erhält; analog die Prosodie bei der sprachlichen Enkodierung. Anders als in Generativen Ansätzen wird Prosodie als das primäre Ausdrucksformat sprachlicher Inhalte betrachtet. Die Syntax erhält den Status eines sekundären Derivats aus der permanenten Interaktion von Pragmatik und Prosodie bei der Sprachbenutzung. Kapitel 2 beschreibt die Rolle der Prosodie in Sprachevolution und -entwicklung näher. Kapitel 3 setzt sich mit bestehenden Forschungsansätzen zu prosodischer Struktur auseinander, insbesondere der sogenannten prosodischen Hierarchie. Anschließend schlägt die Autorin ein neues Modell vor, das sowohl die kognitiv-physiologischen Bedingungen von Sprache als auch neueste Erkenntnisse zur prosodischen Typologie heute gesprochener Sprachen berücksichtigt. Kapitel 4 wertet vor diesem Hintergrund vorhandene Literatur zur prosodischen Struktur des Altgriechischen aus und zeichnet so ein aktuelles prosodisches Profil dieser Sprache. Kapitel 5 evaluiert vorhandene Quellen und Methoden für die prosodische Rekonstruktion, bevor in Kapitel 6 eine neue, diskurspragmatische Methode eingeführt wird, die auch Prosatexte für die systematische prosodische Rekonstruktion erschließt. Kapitel 7 fasst die zentralen Ergebnisse einer Korpusstudie zu Herodots Kroisos-Logos (Hdt. 1.6 – 94) zusammen. Discourse Pragmatics and Prosodic Reconstruction bildet ein erstes Kompendium zum noch jungen Forschungszweig der prosodischen Rekonstruktion. Damit ist die Monographie zunächst für historisch und historisch-vergleichend arbeitende Sprachwissenschaftler interessant. Aus Sicht der Gräzistik bzw. griechischen Sprachwissenschaft stellt sie eine Fortsetzung zu Devine und Stephens’ The Prosody of Greek Speech (OUP 1994) dar. Aufgrund ihres diskurspragmatischen Ansatzes bietet die Monographie nicht nur ein detaillierteres Bild der altgriechischen Phrasenprosodie (Intonationsphrase, prosodische Phrase). Sie leistet am Beispiel von Herodots Historien auch einen Beitrag zu einem präziseren Verständnis der Kompositionskunst und intendierten sprachlichen Effekte der überlieferten Texte. Die altsprachlichen Daten geben neue Antworten auf alte Fragen aus der allgemeinen und typologischen Sprachwissenschaft, insbesondere bezüglich der Phonologie und ihrer Rolle in Sprachsystem und -evolution.
Die altsprachlichen Daten werden in einem Anhang zur e-book-Version aufbereitet.
Cassandra Freiberg, geboren 1989, studierte Indogermanistik, Ur- und Frühgeschichte sowie Rechtswissenschaften in Jena und Passau. Ihre Forschung konzentriert sich auf das Zusammenspiel von Pragmatik und Prosodie im Sprachsystem sowie bei der Formulierung konkreter sprachlicher Äußerungen.
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