Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht das Formen- und Dekorspektrum der seltenen applikenverzierten nordtunesischen Sigillata und vor allem der appliken-, relief- und stempelverzierten Sigillata aus dem wichtigsten zentraltunesischen Töpfereizentrum Sidi Marzouk Tounsi. Grundlage bietet die exzeptionelle Sammlung von K. Wilhelm, deren Material in einem Auswahlkatalog mit 138 Gefäßen und 104 Fragmenten, darunter viele Unikate, dokumentiert wird. Die Analyse des Appliken- und Reliefdekors mit paganen, allegorischen und frühchristlichen Motiven zeigt den ikonographischen Wandel im Lauf der Jahrhunderte. Von großer Bedeutung ist das Produktionsende der spätantiken modelausgeformten, reliefverzierten Sigillata erst gegen Mitte des 6. Jahrhunderts.
Die Untersuchung gibt einen Überblick über die etwa 500 Jahre lange Entwicklung der qualitativ hochwertigen nordafrikanischen Sigillata, einer rottonigen, rot engobierten Feinkeramik, die meist als Tafelgeschirr verwendet wurde. Insbesondere die exzeptionelle reliefverzierte Keramik spiegelt das herausragende kunsthandwerkliche Können mehrerer großer Töpfereizentren in einer der wirtschaftlich wichtigsten Provinzen Roms, der Africa Proconsularis, wider. Im Mittelpunkt steht die seltene applikenverzierte nordtunesische Sigillata des späten 2./frühen 3. Jahrhunderts und vor allem das Formen- und Dekorspektrum der appliken-, relief- und stempelverzierten Sigillata des frühen 3. bis Mitte des 6. Jahrhunderts aus dem bedeutendsten, über 350 Jahre produktiven zentraltunesischen Töpfereizentrum Sidi Marzouk Tounsi. Dort wurde neben rottonigen Lampen und figürlichen Terrakotten ein umfangreiches, vielgestaltiges Repertoire an glatten und verzierten Sigillatagefäßen nicht nur für die Region, sondern für den mediterranen Fernhandel hergestellt. Grundlage bietet die außergewöhnlich reichhaltige, vorwiegend zwischen 1960 und 1995 aufgebaute Sammlung von K. Wilhelm, deren Material in einem Auswahlkatalog mit 138 Gefäßen und 104 Fragmenten, darunter viele Unikate und unbekannte Appliken- und Stempeltypen, dokumentiert wird. Zusätzlich wird wichtiges, teilweise unveröffentlichtes Vergleichsmaterial in europäischen, nordamerikanischen und nordafrikanischen Museen und Privatsammlungen berücksichtigt. Vor allem für die in einem nordost- und größtenteils in einem weiteren zentraltunesischen Töpfereizentrum während des späten 2. und 3. Jahrhunderts hergestellte applikenverzierte Sigillata werden die Formen und erstmals die Dekorschemata klassifiziert und übersichtlich dargestellt. Es gelingt auch die Spätphase der sog. El Aouja-Sigillata und die stilistischen Übergänge zur applikenverzierten Sigillata des 4. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Die Analyse des Appliken- und Reliefdekors mit paganen, allegorischen und frühchristlichen Motiven zeigt anhand der sich stark verändernden bildlichen Darstellungen den ikonographischen Wandel im Lauf der Jahrhunderte. Von großer Bedeutung ist, dass das Töpfereizentrum Sidi Marzouk Tounsi offensichtlich auch die vandalische Herrschaft über die Provinzen Africa und Byzacena (429–533/534) unbeschadet überstand. Neben der späten stempelverzierten Sigillata, ließ sich auch die Herstellung modelausgeformter, reliefverzierter Sigillataplatten und spezieller Sonderformen mit vorwiegend christlichen Darstellungen, weit jenseits des bisher angenommenen Produktionsendes (ca. 430/440) bis gegen Mitte des 6. Jahrhunderts nachweisen.
Michael Mackensen (*1949) studierte von 1969 bis 1977 Provinzialrömische Archäologie, Vor- und Frühgeschichte und Alte Geschichte in München, Freiburg und Oxford. Nach Magister (1974), Promotion (1977), Reise- und Forschungsstipendien des Deutschen Archäologischen Instituts (1977/80) sowie Mitarbeit bei den DAI-Grabungen Karthago (Tunesien) und Resafa (Syrien) war er von 1982–1994 wiss. Mitarbeiter an der Bayer. Akademie der Wissenschaften mit Ausgrabungsprojekten in Bayern (u. a. Nersingen, Kellmünz) und einem Survey-Projekt in El Mahrine (Tunesien). Nach der Habilitation (1991/92) wurde er 1994 auf die C3-Professur für Provinzialrömische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen und leitete Ausgrabungsprojekte in Tunesien (1998/99 Chemtou), Ägypten (2001/02 Deir el-Bachit; 2005–2017 Nag al-Hagar) und Libyen (2009/10 Gheriat el-Garbia, LMUexcellent-Projekt am limes Tripolitanus). 1989 erhielt er den Kurt-Bittel-Preis für Süddeutsche Altertumskunde, 2010 den Preis für gute Lehre des Freistaats Bayern und 2013 den LMU Lehrinnovationspreis. Ende März 2015 wurde er pensioniert. Seit 2009 ist er Herausgeber der Münchner Beiträge zur Provinzialrömischen Archäologie.