Seit der ersten Publikation im Jahr 1901 wurde das einzigartige Holzrelief aufgrund seines Fundortes in Ägypten immer dem koptischen Kunstkreis zugeordnet. Es blieben jedoch erhebliche Unklarheiten zu seiner eindrucksvollen und detailreichen Darstellung. Mit der hier vorliegenden realienkundlichen, ikonographischen und stilistischen Analyse wird nun nachgewiesen, dass das Holzrelief der weströmischen Kunst des 5. Jahrhunderts zuzurechnen ist. Illustriert wird die Niederschlagung der Usurpation des Johannes und seiner hunnischen Reiter vor den Toren der Stadt Ravenna durch die römischen Legionäre der Galla Placidia im Sommer 425 n.Chr. Diese historische Einordnung stellt das Relief in einen neuen Forschungsfokus.
Vor einer steilaufragenden, imposanten Stadtarchitektur kämpfen aufmarschierte römische Legionäre gegen wild flüchtende Reiter in fremdländischen Trachten. Direkt oberhalb des Kampfgeschehens werden vornehme Würdenträger grausam in Gabelkreuzen aufgehängt. Über all dem thront ein Herrscherpaar unter einem baldachinartigen Torbogen, neben ihnen stehen drei große Männer, und winzige Zuschauer verfolgen aus einem Haus heraus den Kampf.
Wer kämpft hier gegen wen, und um wen könnte es sich bei dem ungewöhnlichen Herrscherpaar, einer Frau und einen Knaben, handeln? Ist hier ein historischer Kampf vor einer realen Stadt dargestellt oder, wie vielfach in der Forschung angenommen, ein biblisches, symbolisches Gefecht?
Seit dem Ankauf des einzigartigen Holzreliefs vor über 100 Jahren konnte die wissenschaftliche Forschung auf die zahlreichen ungeklärten Fragen keine überzeugenden Antworten finden.
Der Weg des Reliefs nach Berlin war abenteuerlich: Wie viele andere Kunstwerke aus organischem Material hatte auch das Berliner Relief den Lauf der Zeit im heiß-trockenen Wüstenklima Ägyptens überdauert, wo es Ende des 19. Jahrhunderts gefunden wurde und dann auf heute nicht mehr rekonstruierbaren Wegen mit einem griechischen Kunsthändler nach London in den Kunsthandel gelangte. Dort wurde es von dem Wiener Kunsthistoriker Josef Strzygowski im Jahre 1900 im Auftrag Wilhelm von Bodes für die neue Sammlung der altchristlichen-byzantinischen Plastik und Kleinkunst im ehemaligen Kaiser-Friedrich-Museum – heute Bode-Museum – in Berlin angekauft.
Seit der ersten Veröffentlichung im Jahre 1901 wurde das Holzrelief aufgrund seines Fundortes in Ägypten dem koptischen Kunstkreis zugeordnet. Seine eindrucksvolle und detailreiche Darstellung, sein Stil und seine Datierung blieben indessen ungeklärt. Auch die vermeintlich koptische Provenienz wurde in der wissenschaftlichen Forschung in der Folgezeit nie angezweifelt, sie findet sich ungeprüft in allen späteren Publikationen.
Basierend auf einer vergleichenden Analyse mit Hilfe von schriftlichen Quellen konnte das Geheimnis um das Kunstwerk nun entschlüsselt werden. Aufgrund der neuen realienkundlichen, ikonographischen und stilistischen Einordnung vermochte die Verfasserin nachzuweisen, dass das Relief keinerlei koptische Einflüsse zeigt und sich nahtlos in die weströmische Kunst des 5. Jahrhunderts einfügt.
Von besonders wichtiger Bedeutung sind für diesen Befund die beiden Figuren unter dem herrschaftlichen Torbogen. Aufgrund der kindlichen Physiognomie der rechten Figur und ihrer Kleidung (Chlamys) handelt es sich um einen Knaben und aufgrund der auffälligen Kleidung der linken Figur um eine Frau. Die Auswertung dieser Realien im Zusammenhang mit den historischen Quellen ergab, dass es sich bei den Dargestellten um die Kaiserin Galla Placidia und ihren knabenhaften Sohn Valentinian III. handeln muss. Während seiner Kindheit fand nur ein Kampf zwischen römischen Legionären und fremdländischen Reitern statt, nämlich bei der Niederschlagung der Usurpation des weströmischen Gegenkaisers Johannes im Jahre 425 n.Chr. vor den Toren der italienischen Stadt Ravenna. Johannes hatte als zusätzliche Verstärkung hunnische Reitertruppen im Frühjahr angeheuert, sie sind auf dem Holzrelief in bis dahin nicht bekannter Weise detailliert dargestellt.
Augenscheinlich entstand das Relief im Sommer oder Herbst des Jahres 425 in Ravenna, denn ab seiner Inthronisierung im Oktober 425 wurde Valentinian mit dem hier noch fehlenden kaiserlichen Diadem dargestellt. Basierend auf diesen neuen Erkenntnissen lassen sich jetzt auch fundierte Aussagen zum möglichen Auftraggeber und zum Anlass des Auftrags machen. So gelingt es der Verfasserin, das Kunstwerk in einen neuen wissenschaftlichen Kontext darzustellen.
„Eine Zusammenfassung (137-139), ein Anhang mit zeichnerischen Rekonstruktionen (gut! 143-148) sowie ein Abkürzungsverzeichnis und eine Bibliographie (149-179), Abbildungsverzeichnis und ein guter Tafelteil (20 Taf.) beschließen das Buch. T. hat mit diesem Erstlingswerk (...) ein interessantes Buch zu einem Denkmal abgeliefert, das in der Tat viele Fragen aufwirft. Viele davon hat T. zu erklären versucht, andere ganz neu und sicher völlig zu Recht formuliert oder neu moduliert. Verdienstvolle, auch innovative Ansätze sind in jedem Fall erkennbar. Nicht immer ist die Suche nach Antworten auf die gestellten Fragen befriedigend gewesen - aber, eines ist sicher, T. hat eine Grundlage geschafften, auf der sich über dieses berühmte Relief nun trefflich weiter diskutieren lässt!“
Oliver Stoll
In: Gymnasium. 119 (2012) Heft 3. S. 308-311.
------------------------------------
“Von Törne’s major contribution is to look beyond the relief’s alleged Egyptian provenance. She demonstrates convincingly (pp. 76-87) that the style of the relief does not follow in the Coptic tradition, but rather has its closest parallels in the 5th century ivory diptychs of the western empire, in sarcophagi produced at Ravenna, and on the pedestal of Theodosius’ Obelisk at Constantinople.”
Martin Beckmann
In: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft. 14 (2011). S. 1053-1055.
http://gfa.gbv.de/dr,gfa,014,2011,r,08.pdf(4. August 2011)
Anna Elin von Törne
Magisterstudium der Kunstgeschichte und Geschichte in Frankfurt/M., Bamberg und an der FU Berlin, Promotion 2008. Forschungsschwerpunkt frühchristliche Kunst und Geschichte, vor allem Sarkophage, Mosaike, historisches Relief. Sowie Nationalsozialistische Architektur im Kontext zur Architektur der 20er und 30er Jahre, vor allem zur Bauhausarchitektur.
Diese Schriftenreihe widmet sich speziell den Forschungen zur Christlichen Archäologie und Kunstgeschichte in spätantiker und frühchristlicher Zeit. Sie umfasst die gesamte Epoche der Spätantike bis zum frühen Mittelalter, im Bereich des byzantinischen Reiches auch darüber hinaus.
Die Reihe ist überkonfessionell und ohne Bindung an bestehende Institutionen, arbeitet jedoch mit der „Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie zur Erforschung spätantiker, frühmittelalterlicher und byzantinischer Kultur“ zusammen. Sie konzentriert sich vor allem auf die Kunstdenkmäler und versteht sich daher nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu schon bestehenden Reihen, die in der Regel nicht nur die materielle Hinterlassenschaft der alten Kirche, sondern stets auch literarische, theologische und philologische Themen behandeln.
Einer klareren Zuordnung und einer größeren Bandbreite der verschiedenen Disziplinen wegen wurden zwei Unterreihen eingerichtet:
Die Reihe A „Grundlagen und Monumente“ setzt sich schwerpunktmäßig mit einzelnen Denkmälern bzw. Denkmalgruppen im Sinne einer korpusartigen Erfassung der Denkmäler auseinander.
In der Reihe B „Studien und Perspektiven“ werden einerseits Vorträge der Tagungen der „Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie“ publiziert, andererseits bietet sie ein Forum für Untersuchungen zu den verschiedensten Fragen aus dem Gebiet der spätantiken/byzantinischen Archäologie und Kunstgeschichte.