Die Autorinnen nähern sich dem Thema Musikwahrnehmung von unterschiedlichen Seiten. Woher kommt das eigene pädagogische Handeln, wie lauten die Rahmenbedingungen und wie kann beides weiterentwickelt werden? Sie zeigen, wie sich Theorie und Praxis sinnvoll ergänzen.
„Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.“
Joseph von Eichendorff (1788 bis 1857)
Musikbezogene Lernprozesse und musikalische Erfahrungen sind eng miteinander verknüpft. Was bleibt jedoch von Musik übrig, wenn man nur schlecht oder gar nicht hören kann? Welchen Zugang finden schwerhörige und gehörlose Menschen zur Musik und welche Erkenntnisse können Musikpädagogen und -therapeuten daraus ziehen?
Dieses Buch bietet zwei sehr unterschiedliche Zugangsweisen an. Der erste Teil stellt ein naturwissenschaftliches Forschungsprojekt vor, das sich mit den Grundlagen der Musikwahrnehmung bei hochgradiger Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit auseinandersetzt. Im zweiten Teil steht das Spiellied im Mittelpunkt der musikalischen Arbeit mit hörbeeinträchtigten Kindern. Es verbindet Musik, Bewegung, Sprache und Spiel miteinander. Multisensorische Aspekte der Musikwahrnehmung - m ersten Teil vorgestellt - werden hier praktisch angewandt.
Die Erforschung musikbezogener Lernprozesse zählt zum empirisch-analytischen Forschungsansatz innerhalb der Musikpädagogik und -therapie. Im Sinne eines interdisziplinären Austauschs eröffnet dieses Buch einen naturwissenschaftlichen Zugang im musikpädagogischen bzw. -therapeutischen Kontext.
Die Fragestellungen entstehen aus der langjährigen Praxis der beiden Autorinnen. Beide verbindet die Neugier nach dem, was dahinter steckt. Woher kommt das eigene pädagogische Handeln, welches sind die Rahmenbedingungen und wie kann beides weiterentwickelt werden? Sie zeigen, wie sich Theorie und Praxis ergänzen, sich gegenseitig Impulse geben und so den Fachbereich erweitern. Die Auseinandersetzung mit dem „Nicht-hören-können“ lässt auch das „Hören-können“ besser verstehen und so will dieses Buch besonders jene ansprechen, die sich für einen viel-sinnigen Zugang zur Musik interessieren. Musik mit allen Sinnen erleben bildet die Basis für ein umfassendes Musikverständnis in Pädagogik und Therapie.
„Die letzte Zeile von Eichendorfs Gedicht lautet: „Triffst du nur das Zauberwort.“ Das vorliegende Buch macht deutlich, dass es im wesentlichen darauf ankommt, es zu treffen: Das Zauberwort - oder die Zaubergebärde; denn wäre Eichendorff ein gehörloser oder schwerhöriger, gebärdender musizierender Dichter gewesen, hätte sein Gedicht vielleicht folgendermaßen geendet: „Die Welt hebt an zu singen/ triffst du nur die Zaubergebärde!“
Von: Gunda Schröder
In: Orff Schulwerk Informationen 88, Sommer 2013, S. 92-94.
Dr. Ulrike Stelzhammer-Reichhardt studierte Musik- und Bewegungspädagogik in Wien und Salzburg im Schwerpunktfach Musik und Tanz in sozialer Arbeit und integrativer Pädagogik bei Shirley Salmon. Seit dieser Zeit arbeitet sie mit schwerhörigen und gehörlosen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Zwischen 1992 und 1996 wurde Ulrike Stelzhammer-Reichhardt in die Rehabilitationsphase nach Cochlea-Implantation bei Kindern einbezogen. 1997 bis 2002 war sie mit der Mitorganisation und Durchführung von Sommerwochen für Therapie und Kultur für Familien mit hörbeeinträchtigten Kindern betraut. Von 2004 bis 2007 Forschungsarbeit an der Musikuniversität Mozarteum in Kooperation mit der naturwissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität, Salzburg. 2007 Promotion zur Doktorin der Naturwissenschaft. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind Referenten- und Vortragstätigkeit im Bereich Elementarmusikpädagogik sowie die Verfassung wissenschaftlicher Texte.
Shirley Salmon, geb. in London, studierte Musik (B.A. Hons) an der York University, England; am Froebel Institut, London (mit Abschluss “Postgraduate Certificate in Education”, London University) und Erziehungswissenschaften (Mag. phil) an der Universität Innsbruck.
Derzeit Vertragslehrerin in der Abteilung für Musik- und Tanzpädagogik - „Orff-Institut“, Universität Mozarteum Salzburg, und an den Pädagogischen Akademien, Graz. Nationale und internationale Fortbildungstätigkeit.
Forschungsschwerpunkte: Musik- und Bewegungserziehung bei gehörlosen und schwerhörigen Kindern, in Integrationsgruppen und bei Menschen mit Schwerstbehinderung.