Über seinen Hörsinn ist das Kind im Mutterleib zuerst mit der Außenwelt verbunden. Ein zu früh geborenes Kind wird einer Umwelt ausgesetzt, die dank der fortgeschrittenen medizinischen Technik zwar sein Überleben sichert, aber trotzdem sein Wohlergehen beeinträchtigt, seine Entwicklung erschweren und ihm sogar den Lebensmut nehmen kann: Die unberechenbare und laute Geräuschkulisse einer neonatalogischen Intensivstation mit oft grellem Licht erlebt der Säugling äußerst belastend. Der wohl überlegte, gezielte Einsatz von Musiktherapie gewährt Reizabschirmung, vermittelt das Gefühl von Struktur und Geborgenheit und unterstützt die Entwicklung von Beziehung und Kommunikation.
Das Buch bündelt wissenschaftliche Grundlagen, Forschungsergebnisse, klinische Praxis sowie institutionelle und persönliche Erfahrungen. Es vermittelt umfangreiche praktische Anregungen, um Musiktherapie in einer neonatalogischen Station zu verankern.
Der Bereich der Musiktherapie innerhalb der Neonatologie, der noch vor wenigen Jahren ein exotisches Nischendasein fristete, hat sich in den letzten zehn Jahren weltweit zu einem gefragten Arbeitsbereich sowie zu einem ernstzunehmenden Forschungsfeld entwickelt.
Seit der ersten Auflage dieses Buches 2003 in englischer und deutscher Sprache gab es auf dem Gebiet der Musiktherapie in der Neonatologie weitreichende Entwicklungen. Vor allem wichtige Forschungsergebnisse aus angrenzenden Disziplinen wie den Neurowissenschaften, dem Bereich der Früherziehung und der Traumatherapie im Zusammenhang mit Bindung und Prävention von Entwicklungsstörungen haben den Sinn unserer Arbeit untermauert, ihre klinische Anwendung erweitert oder modifiziert - dies wird nun in der zweite Auflage berücksichtig.
Entstanden ist ein interdisziplinäres Werk, an dem neben Musiktherapeuten auch Ärzte verschiedener Ausrichtungen, Entwicklungspsychologen und Psychotherapeuten beteiligt waren.
Der Inhalt gliedert sich in zwei Teile. Der erste basistheoretische und interdisziplinäre Teil beginnt mit dem Behandlungskonzept NIDCAP (Newborn Individualized Developmental Care and Assessment Program), unter besonderer Berücksichtigung des Hörens, gefolgt von einer umfassenden Forschung zur Hörentwicklung und dem Bindungsverhalten von sehr unreifen frühgeborenen Kindern. Es folgen zwei Kapitel, die mit der Tiefenwirksamkeit und der psychologischen Bedeutung musikalischer Elemente in den klinischen Teil führen: die Rolle der Mutterstimme von Beginn des pränatalen Lebens an und die von Musiktherapie für die Entwicklung regulativer Faktoren in der frühen Mutter-Kind-Beziehung.
Der zweite Teil gibt einen Überblick über unterschiedliche musiktherapeutische Behandlungsansätze, die in qualitativer und quantitativer Forschung und in der klinischen Praxis, mit funktionalem und psychotherapeutischem Anspruch und unter Einbeziehung vielfältigster musikalischer Elemente verwendet werden. Hierbei wird der Einfluss aufgezeigt, den Musik und Musiktherapie als unterstützende Maßnahme für medizinische Probleme, als frühe Intervention sowohl für die Langzeitentwicklung hospitalisierter Kinder als auch als unterstützende Maßnahme für ihre Eltern leisten kann.
Jedes Kapitel enthält sowohl wissenschaftliche Grundlagen als auch Beispiele aus der klinischen Praxis sowie persönliche Erfahrungen und vermittelt umfangreiche praktische Anregungen, um Musiktherapie in einer neonatologischen Station zu verankern.
Die Hoffnung bleibt, dass das Buch auch weiterhin viele Menschen erreicht, die theoretische und praktische Informationen brauchen, seien es Studenten der Musiktherapie oder Musiktherapeuten in NICUs, oder Ärzte, Psychologen, Krankenschwestern und Eltern, um sie zu überzeugen, die fördernde Kraft von Musik und Stimme zu nutzen.
„Dank der internationalen Kontakte der Herausgeberin ist die Musiktherapie mit frühgeborenen Kindern international sichtbar geworden in diesem Band mit Beiträgen von Musiklherapiepraktikern und Forschern aus USA, Italien, Frankreich, Großbritannien, Israel, Australien und Deutschland. Man darf also zu Recht erwarten, dass diese Veröffentlichung (die erste Auf1age ist vergriffen) nun den aktuellsten Stand eines Gebietes wieder gibt (...). Die insgesamt 13 Beiträge, ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein gut strukturiertes Sachwortregister belegen den Erfolg der musiktherapeutischen Praxis bei Frühchen und zeigen die Chancen für eine Beziehungsentwicklung“
Redaktion: Volker Bernius
In: Musikthrapeutische Umschau 2013/3, S. 307-308.
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„Die Publikation ist reich an Anregungen, die teils durch empirische Studien, teils durch eindrückliche Praxisschilderungen vermittelt werden. Dabei wird deutlich, welche Herausforderung darin besteht, frühgeborenen Kindern zu einem erfolgreichen Start ins Leben zu verhelfen und welchen wichtigen Beitrag Musiktherapie dazu leisten kann. Als zentrales Konzept zieht sich durch das Buch wie ein roter Faden die Bindungstheorie in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und eine zentrale These ist, dass durch musikalische Interaktion (in ganz unterschiedlicher Form) die Bindungsfähigkeit von Kindern und Eltern positiv beeinflusst werden kann.
Doch täuscht dieser positive Eindruck nicht darüber hinweg, dass sich die Autorinnen und Autoren in einem Bereich bewegen, in dem sich Schlussfolgerungen häufig auf Annahmen und Spekulationen stützen müssen, weil letztlich der Erkenntnis Grenzen aufgezeigt werden. (...)
Die konkret messenden Forschungsmethoden der Medizin versagen letztlich im konkreten Fall, aufwändige und wohlüberlegte Beobachtungsmethoden versuchen diese Lücke zu füllen, sind aber ohne Grundannahmen - also vorherige Festlegungen - nicht durchzuführen. Der anthropologische Blick auf musikalische Betätigung als menschliches Grundbedürfnis, gar das Anrecht auf kulturelle Teilhabe als Menschenrecht steht nicht im Fokus - obwohl doch alle Beteiligten in diesem Sammelband betonen, dass frühgeborenen Kindern genau solche Lebensbedingungen ermöglicht werden müssen. (...)
Trotz der genannten Einschränkungen überwiegt aber die Zahl der guten Anregungen, der klaren Bilder und der teilweise sehr sorgfältig ausgearbeiteten Argumentationen und macht diese Publikation sowohl für ein Fachpublikum als auch für interessierte Laien lesenswert.
Prof. Dr. Thomas Grosse
In: socialnet.de Rezensionen
http://www.socialnet.de/rezensionen/13175.php,
(03. Juli 2012)
Dr. sc.mus. Monika Nöcker-Ribaupierre
Dr.sc.mus., Dipl.Kapellmeisterin, Dipl. Musiktherapeutin, DMtG. Nach zwanzig Jahren Forschung und Praxis in der Neonatologie in der Unversitätskinderklinik München und Aufbau und Leitung der Musiktherapieausbildung am Freien Musikzentrum München BWM, ist sie heute im Vorstand. Außerdem ist sie im Beirat „Musiktherapeutische Umschau“ und Bundesverband „das frühgeborene Kind e.V.“, im Editorial Board der Fachzeitschrift Music & Medicine/SAGE und Vice-President International Society for Music in Medicine ISMM.