Lassen sich aus der Frisur eines griechischen Porträts Hinweise auf die politische Einstellung der dargestellten Person gewinnen? Begünstigten die auf Nivellierung ausgerichtete Politik des demokratischen Athen der Hochklassik standardisierte Normbildnisse gegenüber individuell unterscheidbaren Porträts? Finden sich im griechischsprachigen Ostmittelmeerraum hellenistische Bildnisse, die durch Anlehnung an römische Porträts die Dargestellten als „Römerfreunde“ ausweisen? Solche und ähnliche Fragen sind nicht leicht zu beantworten, machen aber deutlich, wie wichtig die Berücksichtigung des politischen Umfeldes im weitesten Sinne für die Beurteilung von (nicht nur) griechischen Porträts ist. Umgekehrt unterstreichen sie auch die Bedeutung der Bildnisse als historische Quellen. Die Studie behandelt in loser chronologischer Reihung Denkmäler und Themen, die zumeist schon des Öfteren im Fach diskutiert wurden, im hier gegebenen Kontext aber unter neuen Perspektiven erscheinen können. Dazu zählen etwa die Individualität des Themistokles- Porträts, die Aussage der Demosthenes-Statue oder die Deutung des `Thermenherrschers´ als Dioskur, römischer Feldherr oder hellenistischer Fürst.
Die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen für die Anfertigung von Porträts und der Umgang mit ihnen wirken sich in verschiedener Weise auf ihr Erscheinungsbild aus. Das Buch behandelt unterschiedliche Facetten dieses Themas für das antike Griechenland von der archaischen bis zum Ende der hellenistischen Zeit.
Als eine wesentliche Stimulanz für die Vorbereitung des Individualporträts wird dabei das Konkurrenzgebaren der aristokratischen Eliten im 6. Jh. v. Chr. angesehen. Die normierten Bildnisse der konformistisch geprägten hochklassischen Polis des 5. Jhs. v. Chr. werfen dann eine Frage auf, die ein für das Porträtschaffen aller Zeiten zentrales Problem betrifft, die nach dem Verhältnis zwischen Schönheit und Wahrheit bzw. Idealität und Individualität. Im politischen Milieu der Hochklassik bedeutet das: Ist das `eigene Gesicht´ verpönt oder geduldet, gilt es als erstrebenswerter als das normierte Idealgesicht, und ist dies vielleicht kontextabhängig?
Die angedeutete Dichotomie setzt sich in hellenistischer Zeit in der Gestaltung realitätsnaher Bürgerporträts bzw. tendenziell idealisierend überhöhter Herrscherbildnisse fort, wobei die Mischungsverhältnisse zwischen beiden Darstellungsweisen stark variieren.
Mit der zunehmenden römischen Präsenz und Dominanz im östlichen Mittelmeerraum scheinen sich die zuvor eingeübten Darstellungskonventionen z. T. aufzulösen. Auch stellt sich die für eine historisch ausgerichtete Porträtforschung wichtige Frage nach der Erkennbarkeit politisch oder weltanschaulich definierter sozialer Gruppierungen im Porträt. Sie wird hier anhand eines seit langem diskutierten Problems aufgeworfen, der Frage nach der Unterscheidbarkeit griechischer und römischer Bildnisse sowie der Erkennbarkeit von „Römerfreunden“ in der Porträtkunst des griechischen Ostens.
Einen konkreten Einblick in die zeitgenössische Bewertung des Erscheinungsbildes von Politikern in der Öffentlichkeit und seiner Entsprechungen in der Porträtplastik erlauben schließlich die schriftlich überlieferten und durch Skulpturen visualisierten Kontroversen zwischen den athenischen Meinungsführern Aischines und Demosthenes im 4. Jh. v. Chr.
Die im Buch behandelten Bildnisse und die mit ihnen verbundenen Erklärungsversuche sind bisher zumeist nur in Ausschnitten diskutiert worden. Durch die Einfügung in einen längeren historischen Ablauf ergeben sich neue Perspektiven für unser Verständnis antiker Porträts in ihrem jeweiligen politischen und sozialen Umfeld. Das Buch verbindet die Darstellung von Grundlagen der antiken Porträtforschung mit der Diskussion von Teilaspekten und richtet sich daher sowohl an das Fachpublikum im engeren als auch im weiteren Sinne, nicht zuletzt an Studierende und sonstige Interessierte aus den Nachbardisziplinen der Klassischen Archäologie.
Geb. 1950. Studium in Bonn, Göttingen und Hamburg. Promotion 1980 in Bonn. Habilitation 1987 in München. Prof. für Klassische Archäologie an der Universität Greifswald 1994 bis 1996. Prof. für Klassische Archäologie an der Universität Frankfurt a. M. 1996 bis 2015. Leitung der archäologischen Arbeiten bei der Restaurierung des Trajanstempels in Pergamon 1982 bis 1995. Leitung der Ausgrabungen in Priene 2001 bis 2014.
Forschungsschwerpunkte: Antike Porträts; antike Urbanistik; Archäologie des griechischen und römischen Kleinasien; Geschichte der Klassischen Archäologie