Die vorliegende indogermanistische Studie beschäftigt sich mit der sogenannten amphikinetischen Akzent- und Ablautklasse athematischer Nomina des Indogermanischen. Im Fokus stehen amphikinetische Sekundärbildungen, d.h. solche Amphikinetika, die durch nicht-suffigierende Ableitung („interne Derivation“) von anderen Nominalstämmen entstanden sind. Dabei wird anhand von ausgewählten amphikinetischen Komposita und unkomponierten Substantiven erforscht, welche Faktoren jeweils zur Entstehung der amphikinetischen Ablautstruktur geführt haben. Es zeigt sich dabei, dass der Akzent bzw. ein bei der Ableitung auftretender Akzentwechsel eine nicht unwesentliche Rolle bei der Genese einiger amphikinetischer Sekundärbildungen spielt, womit zugleich der Hypothese, dass der indogermanische Ablaut (wenigstens teilweise) durch den Akzent geregelt war, wieder mehr Gewicht verliehen wird.
Die vorliegende Untersuchung aus dem Bereich der indogermanischen Sprachwissenschaft trägt zur Erforschung der nominalen Morphologie der indogermanischen Grundsprache bei. Der Problemkreis der Arbeit betrifft zentrale Themen der Indogermanistik, nämlich Akzent(wechsel) und Ablaut – sowie die Frage nach akzentgebundenem Ablaut –, Flexionsklassenhierarchie, interne Derivation, Kollektivität, Komposition und anderes mehr. Im Zentrum der Studie steht dabei die sogenannte amphikinetische Akzent- und Ablautklasse athematischer Nomina (Substantive und Adjektive) in den altindogermanischen Sprachen und der indogermanischen Grundsprache (dem Urindogermanischen). Hierbei handelt es sich, vereinfacht gesagt, um dreisilbige Substantive, bestehend aus Wurzel, Suffix und Kasusendung, die im Nominativ und Akkusativ auf der ersten Silbe betont sind, in den übrigen Kasus aber auf der dritten – ein Phänomen, das vom Akzentmuster der übrigen Flexionstypen abweicht und dessen Entstehung bisher umstritten ist. Bekannte Beispiele für das Akzent- und Ablautmuster solcher amphikinetischer Nomina sind etwa das urindogermanische Wort für ‚(Göttin der) Morgenröte‘ (*h2éu̯s‑ōs, Genitiv *h2us‑s‑és) und dasjenige für ‚Erde‘ (*dhéǵh‑ōm, Genitiv *dhǵh‑m‑és). Im Fokus des Buches stehen insbesondere amphikinetische Sekundärbildungen, d.h. solche Amphikinetika, die durch nicht-suffigierende Ableitung (sogenannte „interne Derivation“) von anderen Nominalstämmen entstanden sind. Dabei wird erforscht, welche Faktoren jeweils zur Entstehung der typischen amphikinetischen Ablautstruktur geführt haben. Untersucht werden sowohl amphikinetische Komposita als auch unkomponierte amphikinetische Substantive. Im Bereich der Komposita und der nicht-kollektiven Simplicia kristallisiert sich im Laufe der Untersuchung der Akzent als ein konstituierendes Merkmal der Amphikinese heraus. Sowohl ein Teil der amphikinetischen Komposita als auch ein Teil unkomponierter amphikinetischer Sekundärstämme entstand nämlich durch eine beim Prozess der Komposition bzw. der internen Derivation auftretende Akzentverschiebung. Die Untersuchung bestätigt damit auch die weitverbreitete Ansicht, dass Ablaut (sprich: Vokalwechsel) im Urindogermanischen (wenigstens zum Teil) ein akzentinduziertes Phänomen war. Außerdem trägt die Arbeit auch zur Erforschung der internen Derivation bei und wirft ein neues Licht auf die Hierarchie und das Zusammenspiel der verschiedenen Akzent- und Ablautklassen athematischer Nomina des Indogermanischen, indem gezeigt wird, dass die amphikinetische Klasse nicht grundsätzlich von den übrigen drei Klassen separiert war. Ein eigenes Kapitel der Arbeit widmet sich schließlich der Untersuchung amphikinetischer Kollektivbildungen. Auch hier werden hinsichtlich des Derivationsverhaltens und der Beziehung der amphikinetischen Klasse zu den anderen drei Flexionsklassen neue Erkenntnisse gewonnen.
Dr. Thomas Steer (Jahrgang 1981) promovierte im Fach Indogermanistik 2012 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wo er derzeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist. Seine Forschungsschwerpunkte sind die nominale Morphologie der indogermanischen Sprachen sowie die Bereiche Phonologie und Etymologie.