Die Dunklen Jahrhunderte, die Zeit zwischen Spätantike und Mittelalter, gelten als dorniges Terrain der byzantinischen Architekturgeschichte. So überrascht es nicht, dass diese Epoche meist als bloße Vorstufe mittel- und spätbyzantinischer Entwicklungen abgetan wird. Eine neue Perspektive, die nicht nur Nachfolgendes, sondern auch Spätantikes in den Blick nimmt, lässt die Kirchenarchitektur dieser Zeit in anderem Licht erscheinen. Grund dafür ist, dass damals nur verhältnismäßig wenige Kirchen ex novo errichtet wurden und man stattdessen ältere Gotteshäuser umbaute oder an derselben Stelle neu errichtete. Bei ebenjenen Um- und Neubauten entschied man sich keineswegs für eine schlichte Instandsetzungen der altbewährten Longitudinalarchitektur, sondern überwölbte die einstigen Basiliken stattdessen mit Kuppeln. Das Buch zeigt anhand von Schlüsselmonumenten, dass die Vorgängerbebauung dabei nicht vollständig verloren ging. Vielmehr hatten sich einige Charakteristika bereits als so paradigmatisch für den christlichen Sakralbau etablieren können, dass sie trotz der baulichen Veränderungen entweder erhalten blieben, in einen neuen Kontext transferiert oder erneuert wurden.
Dunkle Jahrhunderte tragen ihren Namen in kaum einer Epoche grundlos. Meist werden mit diesen wenig schmeichelhaften Worten langjährige Phasen bezeichnet, die in der Forschung gemeinhin als Niedergang einer bis dato blühenden Kunst- und Kulturlandschaft gelten. In der byzantinischen Archäologie wird solch ein Verfall mit der Übergangszeit zwischen Spätantike und Mittelalter assoziiert, einer Zeit, aus der nur verhältnismäßig wenige Beispiele christlicher Sakralarchitektur auf uns gekommen sind. Bei ebenjenen Beispielen handelt es sich zudem oftmals lediglich um Um- oder Neubauten älterer Kirchen. Dennoch kann die Bedeutung der in dieser Zeit entstandenen Sakralarchitektur kaum überschätzt werden, geriet die den Kirchenbau bis dato bestimmende Basilikaarchitektur damals doch schlagartig ins Hintertreffen. Die baulichen Veränderungen älterer Kirchen waren zu dieser Zeit nämlich keineswegs gleichbedeutend mit einer schlichten Instandsetzung der älteren Vorgänger. Man entschied sich vielmehr gegen die altbewährte Longitudinalarchitektur und überwölbte die einstigen basilikalen Bauten stattdessen mit Kuppeln.
In diesem Buch wird die Baugeschichte ebensolcher Kirchen analysiert, die während der Dunklen Jahrhunderte verändert wurden. Dabei werden die Sakralbauten dieser Epoche erstmals nicht von vornherein als eine architektonisch kaum anspruchsvolle Vorstufe nachfolgender mittel- und spätbyzantinischer Entwicklungen, sondern aus der Perspektive der (spät)antiken Vorgänger betrachtet. Die Analyse einzelner Schlüsselmonumente lässt dabei stets wiederkehrende Charakteristika erkennen. Zu diesen gehört etwa das Festhalten an Älterem, sowohl in Form von Atria und Narthices als auch in Form der bauplastischen und liturgischen Ausstattung. Aber auch die in der Spätantike für das christliche Gotteshaus entwickelten Raumkonzepte wurden während der Dunklen Jahrhunderte weitergeführt und intensiviert. So wurde der bereits von frühen Kirchenbauten bekannte Dualismus zwischen Draußen und Drinnen, zwischen Profanem und Sakralem um die Polarität von Altem und Neuem erweitert. Erst nachdem die von diesen Gegensätzen charakterisierten Außen- und Eingangsbereiche der Kirchen durchschritten worden waren, gelangte man in einen in sich geschlossenen neuen sakralen Idealraum, in dem Kuppelarchitektur und Bildprogramm Spiegelbild einer himmlischen Hierarchie waren. Geschaffen war damit ein dem Alltag und der Zeitlichkeit entrückter, geradezu heterotopischer Ort. Die Kohärenz von (Stadt)Landschaft und Kirche, deren Auflösungsprozess ihren Anfang schon in der Spätantike genommen hatte, wurde während der Dunklen Jahrhunderte somit endgültig aufgebrochen.
Sabine Feist, geboren 1985 in Köln, studierte von 2005 bis 2011 Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Alte Geschichte in Freiburg, Athen, Basel und Göttingen. Zwischen 2012 und 2016 folgte ein Promotionsstudium der Spätantike und Byzantinischen Kunstgeschichte und der Klassischen Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, das durch verschiedene Stipendien unterstützt wurde (u. a. Fellowship am Research Center for Anatolian Civilizations der Koç University in Istanbul, Mitgliedschaft der Graduiertenschule Distant Worlds der LMU München, Reisestipendium der LMU München). Seit 2015 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Orientalische Archäologie und Kunstgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Neben der spätantiken und byzantinischen Sakralarchitektur sind weitere Forschungsschwerpunkte unter anderem die Inszenierung von Heiligkeit in Spätantike und Frühmittelalter, spätantike Skulptur sowie die Wissenschaftsgeschichte.
Diese Schriftenreihe widmet sich speziell den Forschungen zur Christlichen Archäologie und Kunstgeschichte in spätantiker und frühchristlicher Zeit. Sie umfasst die gesamte Epoche der Spätantike bis zum frühen Mittelalter, im Bereich des byzantinischen Reiches auch darüber hinaus.
Die Reihe ist überkonfessionell und ohne Bindung an bestehende Institutionen, arbeitet jedoch mit der „Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie zur Erforschung spätantiker, frühmittelalterlicher und byzantinischer Kultur“ zusammen. Sie konzentriert sich vor allem auf die Kunstdenkmäler und versteht sich daher nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu schon bestehenden Reihen, die in der Regel nicht nur die materielle Hinterlassenschaft der alten Kirche, sondern stets auch literarische, theologische und philologische Themen behandeln.
Einer klareren Zuordnung und einer größeren Bandbreite der verschiedenen Disziplinen wegen wurden zwei Unterreihen eingerichtet:
Die Reihe A „Grundlagen und Monumente“ setzt sich schwerpunktmäßig mit einzelnen Denkmälern bzw. Denkmalgruppen im Sinne einer korpusartigen Erfassung der Denkmäler auseinander.
In der Reihe B „Studien und Perspektiven“ werden einerseits Vorträge der Tagungen der „Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie“ publiziert, andererseits bietet sie ein Forum für Untersuchungen zu den verschiedensten Fragen aus dem Gebiet der spätantiken/byzantinischen Archäologie und Kunstgeschichte.