Mit diesem Tagungsband rückt das „Kitab Dede Korkut“ in den Brennpunkt interkultureller Komparatistik zur mittelalterlichen Heldenepik. Den ältesten und einzig vollständigen Überlieferungszeugen dieser prä-osmanischen Heldendichtung hütet die Sächsischen Staats- und Landesbibliothek Dresden. Die neueste deutsche Übersetzung hat der Mainzer Turkologe, Hendrik Boeschoten, vorgelegt: Ideale Voraussetzungen für den Beginn einer wissenschaftlichen Kooperation zwischen Aserbaidschan und Deutschland, die eine Annäherung der Wissenschaftsdiskurse zwischen Ost und West anstrebt. Behandelt werden aus je eigener sprachwissenschaftlicher Perspektive u.a. Themen aus Bereichen wie Syntax, Lexik, Wortbildung, Namenforschung oder Sprechakttheorie. Nicht nur ein erster Brückenschlag zwischen Orient und Okzident, sondern auch ein Novum für deutsche Forschungen zum „Nibelungenlied“.
Der vorliegende Band enthält ausgewählte Beiträge des ersten Symposiums zum Thema „Das Buch des Dede Korkut und das Nibelungenlied - ein interkultureller Epenvergleich“, das vom 30. September bis zum 4. Oktober 2009 in Baku, Aserbaidschan, von der dortigen Slawistischen Universität veranstaltet wurde. Dieses erste Symposium beruhte auf einer Zusammenarbeit zwischen der Slawistischen Universität Baku, dem Deutschen Institut und dem Seminar für Orientkunde der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft, Frankfurt am Main. Vorrangiges Ziel war es, neue Wege in der interkulturellen Epenforschung zu beschreiten. Zudem sollte damit ein Vorhaben auf den Weg gebracht werden, die Gräben zwischen den Wissenschaftsdiskursen in West und Ost zu überbrücken.
Deshalb enthält der Band Druckfassungen der Vorträge, die den germanistischen Teilnehmern einerseits und den Turkologen, insbesondere den aserbaidschanischen Sprachwissenschaftlern anderseits, den Hintergrund der jeweiligen Forschungsgegenstände vermitteln. Dabei werden beispielsweise Einzelaspekte wie die Metrik der Nibelungenstrophe aus germanistisch-deutscher wie aus germanistisch-aserbaidschanischer Perspektive beleuchtet; übergreifende Themen wie die Relevanz des „Nibelungenliedes“ für die internationale Germanistik oder der Stellenwert des „Buches des Dede Korkut“ als Verschriftlichung einer mündlichen Überlieferung für das Studium des Aserbaidschanischen als Zweig des Westoghusisch-Türkischen werden außerdem angesprochen.
Weitere Beiträgen behandeln Themen, die überwiegend auf sprachwissenschaftlichen Analyseebenen angesiedelt sind. Um die Tragfähigkeit des Pilot-Projekts interkultureller Komparatistik zur mittelalterlichen Heldenepik zu erproben, ist die Sprachwissenschaft hier im weitesten Sinne aufgefasst worden: syntaktische Strukturen, sprechakttheoretische wie auch lexikographische Gesichtspunkte kommen genauso zum Tragen wie der sprachliche Hintergrund poetischer Strukturen oder die Onomastik von Heldennamen.
Als Beitrag zur Mündlichkeit mittelalterlicher Heldenepik fand am 2. Oktober 2009 ein Konzert im Kapellhaus, dem deutschen Kulturzentrum in Baku, statt, bei dem der bekannte Nibelungenliedinterpret Eberhard Kummer und die aserbaidschanische Musikgruppe Savalan in einem vor Ort improvisierten musikalischen Austausch ihre Interpretationen der epischen Erzählstoffe darboten. Ein Bericht über dieses interkulturelle Ereignis besonderer Art beschließt den Band.
„In Aserbaidschan fand 2009 ein interkulturelles Symposium des Vergleiches des Nibelungenliedes zur ältesten präosmanischen Heldendichtung Dede Korkut statt, die sich in der Staatsbibliothek Dresden befindet. Die nun veröffentlichten Beiträge stellen ein Novum für deutsche Forschungen zum Nibelungenlied dar. Behandelt wird neben dem Dede Korkut das römische Erbe im Nibelungenlied, das Nibelungenlied und die Zukunft der Germanistik im globalen Wettbewerb der Kulturen, die Strophik und Melodie des Nibelungenliedes, seine syntaktischen Strukturen, die narrativen Techniken und szenische Gestaltung, sprachliche Besonderheiten und natürlich die Parallelen beider Sagas.“
In: Worms 2012. Heimatjahrbuch für die Stadt Worms. S. 249.
Kamal M. Abdullayev, Baku
Professor für Allgemeine Sprachwissenschaften und Turkologie, seit dem Jahr 2000 Rektor der Slawistischen Universität Baku, zahlreiche Veröffentlichungen (auf Russisch und Aserbaidschanisch) zur Allgemeinen Sprachwissenschaft (Spezialgebiet: Syntax) sowie zur prä-osmanischen Heldenepik mit dem Forschungsschwerpunkt auf dem „Kitab Dede Korkut“; Verfasser von Dramen und Erzählwerken, Ehrenmitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften von Aserbaidschan.
Hendrik Boeschoten, Mainz
Universitätsprofessor für Turkologie, akademische Ausbildung in den Niederlanden, seit dem Jahr 2002 Lehrstuhlinhaber für Turkologie und Geschäftsführender Leiter des Seminars für Orientkunde der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Forschungs- und Publikationsschwerpunkte in vergleichender Turkologie sowie in der Edition und Übersetzung mittelalterlicher Texte, insbesondere des „Kitab Dede Korkut“ (2005 ins Niederländische, 2008 ins Deutsche); Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Turkic Languages“ (seit 1996).
Sieglinde Hartmann, Frankfurt am Main und Würzburg
Honorarprofessorin für Ältere deutsche Philologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (seit 2004) und an der Slawistischen Universität Baku (seit 2010); akademische Ausbildung in Frankfurt am Main, New York und Paris; germanistische und komparatistische Studien zur Literatur des europäischen Mittelalters mit Schwerpunkt auf Oswald von Wolkenstein; Mitbegründerin und Erste Vorsitzende der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft; Verantwortliche Herausgeberin des „Jahrbuchs der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft“ (seit 1992).
Uta Störmer-Caysa, Mainz
Universitätsprofessorin für Deutsche Philologie / Ältere Literaturgeschichte, seit 2002 Inhaberin des Ordinariats für Germanistische Mediävistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Literatur des Mittelalters mit Schwerpunkt auf spätmittelalterlicher Mystik (insbesondere Meister Eckhart) sowie auf der höfischen Literatur des Hochmittelalters, speziell der Heldenepik, u.a.: Neuedition der „Kudrun“ (Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch mit Übersetzung und Kommentar, 2010).
Es ist das Anliegen dieser Buchreihe, in der Dissertationen, Habilitationsschriften, sonstige monographische Darstellungen und Sammelbände erscheinen werden, die Interdisziplinarität der modernen Mittelalterforschung noch mehr hervorzuheben und zu fördern als dies bisher der Fall ist. Angenommen werden Arbeiten aus allen Gebieten der Mediävistik, sofern der Aspekt der Interdisziplinarität darin betont wird, d.h. sofern sie die Grenzen eines einzelnen Faches zu überschreiten suchen.