Oscillating Bodies liest die Körperdarstellungen in arabisch- und französischsprachigen Romanen aus Tunesien zusammen. So entsteht ein Einblick in die tunesische Gesellschaft von der Unabhängigkeit des Landes 1956 bis zu den revolutionären Umwälzungen von 2010/2011. Sie erscheint als eine zwischen verschiedenen Einflüssen oszillierende Gesellschaft, die sich zwischen den Polen von Tradition und Moderne sowie unterschiedlichen kulturellen Einflüssen bewegt. Oscillating Bodies kann außerdem als Einleitung in die tunesische Romanliteratur gelesen werden, die von der internationalen Literaturwissenschaft ansonsten kaum beachtet wird.
Oscillating Bodies bietet Einblicke in die tunesische Gesellschaft jenseits von Statistiken und Kennzahlen. Autorin Charlotte Pardey nähert sich der Gesellschaft durch ausgewählte moderne tunesische Romane an. Mit besonderem Augenmerk auf die Darstellung und Verwendung menschlicher Körper erscheint in den Romanen eine oszillierende Gesellschaft, die sich zwischen den Polen von Tradition und Moderne sowie unterschiedlichen kulturellen Einflüssen bewegt. In fünf Kapiteln wird so die Zeit von der Unabhängigkeit des Landes 1956 bis zu den revolutionären Umbrüchen von 2010/2011 mittels Romanen beschrieben.
Tunesische Romane werden mehrheitlich auf Arabisch und auf Französisch verfasst. Das Ergebnis sind zwei nebeneinander existierende Traditionen, die kaum „zusammengelesen“ werden. Die tunesische Literatur hat bisher nur wenig Beachtung in der Literaturwissenschaft gefunden. Wenn überhaupt, fand die Auseinandersetzung entsprechend sprachlicher Grenzen getrennt in den Disziplinen Arabistik und Romanistik statt. Oscillating Bodies liest nun arabisch- und französischsprachige Romane zusammen und zeigt, wie sie miteinander in fruchtbaren Dialog treten können. Dabei wird immer wieder der Bezug zu weiteren literarischen Traditionen (beispielsweise zu den Literaturen Frankreichs, Nordafrikas und der Levante) hergestellt.
Mithilfe der Denkfigur des Oszillierens wird einerseits die tunesische Gesellschaft beschrieben, sie dient aber auch dazu, die Körperdarstellungen in den Romanen zu lesen. Mit dem Konzept „embodiment“ (Thomas J. Csordas), dem körperlichen In-der-Welt-Sein, wird die Verwendung menschlicher Körper in Romanen analysiert. Weitere Konzepte werden dazu herangezogen (Hauntologie, Abjektion, fitna), die alle eine oszillierende Bewegung beinhalten und damit Problematiken in der literarischen Darstellung menschlicher Körper offenlegen, etwa Präsenz, Materialität, Sichtbarkeit und den Bezug zum körperlichen In-der-Welt-Sein in der Literatur herstellen.
Oscillating Bodies kann mit unterschiedlichen Ansprüchen gelesen werden: Es dient einerseits als Einführung in die tunesische Romanliteratur, in ihre zentralen Motive und Themen. Es legt eine entscheidende Grundlage für zukünftige Arbeiten, die alle gemeinsam der tunesischen Literatur einen größeren Platz in der literaturwissenschaftlichen Forschung geben können. Oscillating Bodies erschließt dazu arabisch- und französischsprachige Romane für ein anglophones Publikum. Andererseits bietet es Einblicke in die tunesische Gesellschaft und stellt den gesellschaftlichen Kontext der revolutionären Umwälzungen von 2010/2011 dar. Schließlich bietet es mit der Denkfigur des Oszillierens eine Perspektive zum Lesen der postkolonialen Situation an, die es anknüpfbar für das Studium anderer ebenfalls postkolonialer Gesellschaften und ihrer Literaturen macht.
Charlotte Pardey (*1986) hat an der Philipps-Universität Marburg Orientwissenschaft (BA) und anschließend Arabische Sprache und Kultur (MA) studiert mit Aufenthalten in Syrien und der Türkei. Anschließend wechselte sie für ein weiteres MA-Studium in Comparative Literature (Africa/Asia) an die School of Oriental and African Studies, University of London. Als Mitarbeiterin des Fachgebiets Arabistik kehrte sie als Doktorandin von Professorin Friederike Pannewick nach Marburg zurück. Ihre Dissertation wurde durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes unterstützt. Von Anfang 2017 bis Ende 2020 war Charlotte Pardey als Wissenschaftliche Mitarbeiterin Teil von Friederike Pannewicks Forschungsgruppe “Wendepunkte | Denkfiguren” (2012–2020, DFG, Leibniz-Preis) und forschte zu den Literaturen des Maghrebs.
Diese Reihe stellt innovative Arbeiten zu den nahöstlichen Literaturen in ihren verschiedenen Epochen und Gattungen vor. Sie versteht sich nicht ausschließlich als ein Forum für Orientwissenschaftler, sondern möchte auch Komparatisten, Literaturwissenschaftlern und einer interessierten Öffentlichkeit Einblicke in das breite Spektrum gegenwärtig produzierter und rezipierter Literatur des Nahen Ostens bieten.
Denn die Herausgeberinnen, Autorinnen und Autoren wollen den Titel der Reihe programmatisch verstanden wissen. Sie gehen von einem Begriff der Weltliteratur aus, der die orientalischen Literaturen nicht nur statisch einbegreift, sondern sie in ein Kulturregionen und Nationalsprachen übergreifendes Spannungsfeld stellt, dessen Dynamik erst im interdisziplinären Austausch erfasst werden kann. Sie gehen ferner davon aus, dass Literaturen in vielfacher Weise intertextuell geprägt sind, dass sie Lektüren verschiedenster vorausgehender Texte darstellen und daher erst in ihrem „lokalen historischen Kontext“ ihren Reiz als Ausdruck einer regional geprägten Ästhetik entfalten können. Die Reihe versucht so, einer neuen Sensibilität für mythische, archetypische, aber auch historische Subtexte in der nahöstlichen Literatur Bahn zu brechen, sie aber gleichzeitig als wichtigen Ausdruck einer globalen kulturellen Mobilität sichtbar zu machen.