Im Zentrum der Arbeit steht die Offenlegung von Theatralisierungsstrategien, die eine Verarbeitung mittelalterlicher epischer Stoffe im deutschsprachigen Spiel bedingen, verbunden mit der Frage, welchen Mehrwert die dramatische Verarbeitung vorgegebener Stoffe im Vergleich zum epischen oder lyrischen Text besitzt. Die Untersuchung umfasst die Dramatisierung versifizierter groß- und kleinepischer Gattungen, u.a. der Artustradition anhand von zwei Fastnachtspielen mit Artusthematik, davon eines von Hans Rosenplüt, der Schwankdichtung anhand der Neidhartspiele, und schließlich noch der Heldenepik: Hier werden die Spiele vom „Wunderer“, das Tiroler Reckenspiel, der „Hürnen Sewfriedt“ des Hans Sachs und Jakob Ayrers Wolfdietrichtrilogie behandelt. Zudem wird dabei immer ein Blick auf zeitgleiche geistliche Spiele und deren emotionale Publikumslenkung geworfen, da ja die Theatralisierungsstrategien der biblisch-epischen Stoffe ähnlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sein dürften wie im weltlichen Spiel. Insgesamt wird das mittelalterliche Spiel über die überlieferten Texte hinaus als besonderes Ereignis für das kulturelle Leben innerhalb der städtischen Gesellschaft aufgefasst.
Zentrales Ziel der vorliegenden Studie ist die Herausarbeitung von Theatralisierungsstrategien epischer Stoffe im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschsprachigen Spiel. Exemplarisch werden hierzu die Artustradition (Analyse von Fastnachtspielen mit Artusthematik), die Schwankdichtung (anhand der Neidhartspiele) und die Heldenepik analysiert. In der letzten Kategorie werden der „Wunderer“, das „Tiroler Reckenspiel“, das „Spiel vom Hürnen Sewfriedt“ des Hans Sachs und Jakob Ayrers Wolfdietrichtrilogie behandelt. Durch den kontinuierlichen Vergleich mit geistlichen Spielen ergeben sich Performativitätsprofile beider Gattungen, die gemeinsame Techniken der Inszenierung aufdecken. Dies zeigt die Analyse der dramatischen Umsetzung des Artusstoffes in aller Deutlichkeit. Hier dient beispielsweise ein Blick auf Klageperformanzen in geistlichen Spielen zur Erhellung der Klageperformanz einzelner Figuren im weltlichen Spiel. Es zeigt sich, dass die Fastnachtspiele zwar die tradierten Stoffe übernehmen, aber einen neuen Bezugsrahmen schaffen und die Artusthematik der Komik des Fastnachtspiels unterwerfen. Die Aufführung des Veilchenschwanks in den Neidhartspielen synästhesiert die schon früh belegte Neidhart-Ikonographie. Eine Kollation vergleichbarer weltlicher, aber auch geistlicher Spiele weitet den Blick auf die Brisanz etwa der Defäkationskomik, die in den Neidhartspielen pointiert erscheint. Jedes der Neidhartspiele akzentuiert etwas anders, entsprechend der einzelnen Aufführungsorte und Funktionalisierungen der Spiele. Auch beim heldenepischen Wundererspiel und beim „Tiroler Reckenspiel“ können ikonographische Rezeptionsdokumente Überlegungen zur Performanz plausibilisieren. Eine mögliche Funktionalisierung von Heldenepik, nämlich für moralisch-didaktische Zwecke, tritt beim Siegfriedspiel von Hans Sachs zutage. Bei dessen Analyse profiliert ein Blick auf die reichsstädtischen Verhältnisse in Nürnberg die Bedeutung von Hans Sachs für den Literarisierungsprozess in der spätmittelalterlichen Stadt. Jakob Ayrer wird in der Forschung noch immer – zu Unrecht – stiefkindlich behandelt. Doch bei der Analyse seiner Verarbeitung des „Ortnit“/„Wolfdietrich“-Stoffes unter dem Einfluss der Englischen Komödianten zeigen sich eindrucksvoll seine theatralen Neuerungen und die durchdachte Umorganisation einzelner Blöcke der Vorlage (wohl das „Gedruckte Heldenbuch“ von 1590) aus dramentechnischen Erwägungen.
Das innovative Potential der Arbeit liegt vor allem in der Vernetzung der beiden „Spielarten“ geistliches und weltliches Spiel; die Fokussierung auf die wechselseitige Erhellung der performativen Strategien zeigt die bisher in der Forschung zu wenig genutzte Möglichkeit, Performanzhinweise über den jeweiligen Spieltext hinaus für die Spiele zu gewinnen.
Gleichwohl kann die Studie, die ein Fülle auch älterer Forschungsliteratur einbezieht, mit Stellenbelegen, punktuellen Kontextualisierungrn und den Vorschlägen zur Aufführungsmöglichkeiten Hilfestellungen für eine Kommentierung der untersuchten Spiele geben.
Von: Elke Koch
In: Zeitschrift für deutsche Philologie 136. Band 2017 3. Heft
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„Die Arbeit bietet Einzelinterpretationen ausgewählter Spiele des arthurischen und heldenepischen Themenbereichs, daneben aber auch systematische Zusammenhänge zu ihrer Performanz, Aufführungsform und Spielweise. Methodologisch befindet sich die Arbeit auf dem neuesten Stand mediävistischer Forschung“
Von Werner Röcke
In: Germanistik, 2013, Band 54, Heft 3-4, S.426.
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„In fünf großen Abschnitten gelingt es Andrea Grafetstätter in überzeugender Weise, die Aufführungs Umsetzungen der jeweils zugrundeliegenden literarischen Texte darzustellen und auf ihre Stichhaltigkeit hin zu untersuchen. In der Einleitung „Kontinuität und Diskontinuität im geistlichen und weltlichen Spiel“ werden allgemeinere wie speziellere Rahmen dargelegt so etwa, wenn der ‚Sitz im Leben‘ dieser Aufführungen dargestellt oder Frauenrollen, Theatralisierungsstrategien epischer Stoffe und Aspekte der Performativität und kulturellen Funktion der Aufführungen thematisiert werden. Die Thematisierung von „Komik und Klage im arthurischen Fastnachtsspiel“ ist die erste der drei ‚Säulen‘ anhand derer Andrea Grafetsteätter die allgemeinen Grundlagen ihrer Überlegungen in eine konkrete Anwendung bringt – die beiden anderen sind auf die ‚Neidhartspiele‘ beziehungsweise auf. ‚heldenepische Spiele‘ bezogen. Unterfüttert wird diese Argumentation durch eine Reihe von (Text-)Beispielen, die die Breite und Varietät der jeweiligen Adaptionen belegen. Etwas umfangreicher geht die Autorin auf die Praxis der ‚Neidhartspiele‘ ein, die vor allem unter dem Aspekt der Körperpräsenz beziehungsweise vor allem ‚Körperkomik‘ dargestellt sind. Diese sind im Kontext der literarischen Stoffe zwar angelegt, jedoch erst im Zusammenhang mit der theatralischen Darstellung dezidiert ausgeführt. Der umfangreichste Part der Untersuchung widmet sich unter der Überschrift „trutz und tratz her Diederich“ ‚Komik, Kampf und Klage im heldenepischen Spiel‘ und bezieht sich vornehmlich auf Motive aus dem Bereich der Dichtungen um Dietrich von Bern. Unter der Überschrift „Reziprozität der Gattungen“ wird noch einmal der Blick auf die Meta-Ebene gewählt, indem einzelne Aspekte der Inszenierung, der Inszenierungsabsicht, aber auch der Rezeption durch das Publikum aufgezeigt werden. Grafetstätter ermöglicht so auch einen Blick auf den ‚Sitz im Leben‘ der jeweiligen Inszenierungen, wobei allgemeine gesellschaftliche wie spezifisch literatursoziologische Gesichtspunkte überzeugend dargelegt werden. Ein wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang das gegen Ende noch einmal explizit angesprochene Phänomen der ‚Re-Oralisierung ‘ literarischer epischer Texte. Die sich anschließende, knapp sechzigseitige Bibliografie zu Primärtexten und Sekundärliteratur bietet denjenigen, die sich intensiver mit der Thematik, einzelnen Texten respektive Textbearbeitungen intensiver beschäftigen wollen (...). Besonders geeignet dürfte das vorliegende Werk für eine fortgeschrittene Zielgruppe sein, die speziell an der Frage nach der Theatralisierung literarischer Stoffe im Spätmittelalter interessiert ist beziehungsweise Interesse an der Wechselwirkung zwischen ‚angewandter‘, das heißt inszenierter Literatur, und der Selbstdarstellung und Eigenerwartung sozialer Gruppen und speziell gesellschaftlich dominierender Schichten vornehmlich der spätmittelaterlichen Städte hat.’
Von Jörg Füllgrabe
In: literaturkritik.de (
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=18351, 09.10.2013, 11:16)
Andrea Grafetstätter
geboren am 24.02.1970, Studium der Germanistik an den Universitäten Bamberg und Liège, 2004 Promotion („Der Leich Walthers von der Vogelweide“), 2011 Habilitation.
Derzeit Lehrkraft für besondere Aufgaben am Lehrstuhl für deutsche Philologie des Mittelalters an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Es ist das Anliegen dieser Buchreihe, in der Dissertationen, Habilitationsschriften, sonstige monographische Darstellungen und Sammelbände erscheinen werden, die Interdisziplinarität der modernen Mittelalterforschung noch mehr hervorzuheben und zu fördern als dies bisher der Fall ist. Angenommen werden Arbeiten aus allen Gebieten der Mediävistik, sofern der Aspekt der Interdisziplinarität darin betont wird, d.h. sofern sie die Grenzen eines einzelnen Faches zu überschreiten suchen.