Trotz der allgemein als gültig angesehenen Meinung, mittelalterliche Dichtung sei nicht zuletzt Formkunst, wurde die mittelalterliche Lieddichtung unter diesem Aspekt bislang nur völlig unzureichend untersucht. Das Buch befasst sich erstmals umfassend mit der Formgeschichte der Sangspruchtöne in der gesamten dreihundertjährigen Gattungsgeschichte zwischen Spervogel im späten 13. und Michel Beheim in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Beschrieben und historisch verortet werden anhand der metrischen Schemata und, soweit vorhanden, der Melodien sämtliche überlieferten Töne. Anhand des Töneregisters kann die Arbeit auch als Nachschlagewerk benutzt werden.
Trotz der allgemein verbreiteten Überzeugung, mittelalterliche Dichtung sei, vor allem auch im Bereich des Liedes, sei nicht zuletzt Formkunst, stehen Formfragen doch meist am Rande der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den überlieferten Texten. Im Gegensatz dazu beschäftigt sich das Buch, gestützt auf jahrzehntelange Forschungen, erstmals umfassend und systematisch in analytischer Weise mit den oftmals kunstvollen Tönen, d. h. den Strophenformen und den zahlreich überlieferten Melodien der deutschen Sangspruchdichtung des Mittelalters. Die Geschichte dieser Kunst vorwiegend professioneller Dichter mit auch im Hinblick auf die Strophenformen ausgeprägtem Traditionsbewußtsein reicht vom ausgehenden 12. Jahrhundert bis in der zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts – Höhepunkte stellen das Schaffen Walthers von der Vogelweide und Reinmars von Zweter, der anonym überlieferte >Wartburgkrieg<, die Texte und Töne Konrads von Würzburg, Frauenlobs, Heinrichs von Mügeln und Michel Beheims dar; insgesamt sind 78 Tonerfinder und 9 weitere, anonym überlieferte Töne bekannt. Neben dem Minnesang stellte der Spruchsang die zweite wichtige Liedgattung der deutschen Literatur des Mittelalters dar. Alle 253 überlieferten Töne werden in (soweit möglich) chronologischer Folge metrisch-musikalisch analysiert und in den Ablauf der Formgeschichte eingeordnet. In der Einleitung werden die wichtigsten metrischen und musikalischen Begriffe erläutert. Anhand des ausführlichen Registers kann das Buch auch als Handbuch und Nachschlagewerk benutzt werden.
„Der Band gibt umfangreiches Material an die Hand, das den Prozess der Ausbildung der Form aus dem Kontext romanischer Lieder und des höfischen Minnesangs präzisiert und greifbar macht. Damit kann man die Sangspruchdichtung besser als zuvor als eigenständige Gattung beschreiben und vom Minnesang abgegrenzen. Zugleich eröffnet sich aber auch die Chance, Untersuchungen über die parallele Entwicklung und den Kontext der beiden großen Lyrikformen des Hochmittelalters auf sachliche Grundlage zu stellen. Auch die Leistungen einzelner Dichter hinsichtlich ihres Beitrags zur Gattungsgeschichte werden deutlich ablesbar. Der Leser ist damit nicht mehr gezwungen, sporadische Ergebnisse zur Grundlage eines historischen und gattungsbezogenen Zusammenhangs zu machen, sondern der Entwicklungsgang der Gattung liegt dank dieser differenzierten Formanalyse und
geschichtlichen Reihung in vielfältiger Weise erschlossen vor.“
In: literaturkritik.de
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„Das jetzt vorgelegte Buch B.s geht freilich über die bloße Zusammenführung dieser älteren Arbeiten weit hinaus. Denn erst in einer echten Synthese der individuellen Befunde war es möglich, eine wirkliche Formgeschichte des deutschen Sangspruchs zu schreiben. Nichts weniger als dies leistet der konzentrierte Band, und zwar besonders jeweils unter der Rubrik
(Einordnung) am Ende der ingesamt dreizehn Kapitel, in welche B. die Entwicklung der Gattung eingeteilt hat. Von großem Wert ist die Einleitung (...), durch die gerade auch Nichtspezialisten über die wichtigsten Formaspekte (unter Einschluß der Musik ), die dabei geltende Fachterminologie und die Chronologie der Töneproduktion aufs beste bündig informiert werden. Das Buch darf zweifelsohne als Markstein aktueller Sangspruch-Forschung gelten.“
In: Mittellateinisches Jahrbuch (MJB) 48, 3, S. 505.
Geb. 1940, Studium der Germanistik, Musikwissenschaft und lateinischen Philologie in Erlangen und Zürich, Promotion 1966, Habilitation 1971, Extraordinarius in Erlangen, 1981-2006 Inhaber des Lehrstuhls für deutsche Philologie in Würzburg; Forschungen und Publikationen zur deutschen Literatur- und Musikgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Es ist das Anliegen dieser Buchreihe, in der Dissertationen, Habilitationsschriften, sonstige monographische Darstellungen und Sammelbände erscheinen werden, die Interdisziplinarität der modernen Mittelalterforschung noch mehr hervorzuheben und zu fördern als dies bisher der Fall ist. Angenommen werden Arbeiten aus allen Gebieten der Mediävistik, sofern der Aspekt der Interdisziplinarität darin betont wird, d.h. sofern sie die Grenzen eines einzelnen Faches zu überschreiten suchen.