When parents are confronted with their child’s diagnosis of a disability, they may suddenly lose all of their freedom. They lose the freedom to meet the child with positive feelings, the freedom to develop an optimistic perspective for the future, and last but not least the freedom to play with the child in an uninhibited manner.
This book reveals the results of thirty-seven interviews with affected mothers and fathers. How do they experience the disability of their child? How do they deal with and overcome the diagnosis?
Music therapies conducted with the children of the interviewees are also described and analyzed. How do the children play? Was freedom lost here too?
Für die meisten Eltern ist die Diagnose einer „geistigen Behinderung“ ihres Kindes traumatisierend. Lebensentwürfe werden zerstört, und viele Betroffene müssen zunächst ihre Trauer um das „verlorene Wunschkind“ verarbeiten. Mit dem Behinderungstrauma geht den Familien der Spielraum verloren, der ansonsten zur Verfügung gestanden hätte. Dabei wird Spielraum in einem doppelten Wortsinn verstanden: als Entwicklungs- bzw. Entfaltungsspielraum, die Beziehung zum behinderten Kind frei zu gestalten, und als konkreter Spielraum, mit dem Kind unbelastet zu spielen.
In der Auswertung von 37 qualitativen Interviews mit betroffenen Müttern und Vätern wird in dieser Dissertationsschrift systematisch herausgearbeitet, welches Leid mit dem Behinderungstrauma in den Familien Einzug erhalten hat und wie es ihnen schließlich gelungen ist, dies zu verarbeiten und zu bewältigen. Im Zuge des Forschungsprojekts kommt dabei erstmals im deutschen Sprachraum das Reaction to Diagnosis Interview zur Anwendung, das in einer Vielzahl internationaler Forschungsarbeiten bereits erprobt ist.
Parallel zu den Interviews wurden mit den Kindern aus den Familien Musiktherapien durchgeführt, um die Auswirkungen der elterlichen Behinderungsverarbeitung weiter zu untersuchen: Steht besonders belasteten Kindern auch in der Musiktherapie weniger Spielraum zur Verfügung?
In der übergreifenden Auswertung beider Untersuchungen konnten deutliche Anhaltspunkte gefunden werden, die einen Zusammenhang zwischen dem Behinderungstrauma der Eltern und dem Spielraum an Entwicklungsmöglichkeiten ihres Kindes erkennen lassen. Eltern mit Auflösung ihrer Traumatisierung berichten deutlich häufiger von responsiven und feinfühligen Spielsituationen. Ohne Auflösung beschreiben Eltern hingegen erheblich öfter, Förder- und Lernspiele mit ihrem Kind zu spielen, womit sie unbewusst gegen die Traumatisierung durch die Behinderungsdiagnose anarbeiten. Als besonders belastet konnte dabei die Vater-Tochter-Beziehung identifiziert werden, die am stärksten durch die Diagnose einer geistigen Behinderung erschüttert scheint.
Auch in der Musiktherapie spiegeln sich diese Zusammenhänge zwischen dem Auflösungsstatus der Eltern und dem Spiel der Kinder wider. Mit Auflösung des elterlichen Behinderungstraumas finden Gespräche und Spielgestaltungen der Kinder in der Musiktherapie in einem überwiegend ausgeglichenen Verhältnis statt. Demgegenüber interagieren und kommunizieren Kinder von Eltern ohne Auflösung weniger dialogisch.
Es gelingt dennoch in fast allen Musiktherapien, einen kreativen Spielfluss aufzubauen und einen gemeinsamen Spielraum geteilter Spielfreude zu entwickeln. Im Buch werden schließlich die methodischen Elemente untersucht und beschrieben, mit denen Spielraum in diesem Sinne entdeckt und zurückerobert werden konnte.
Oliver Paul,
Dr. phil.,1975 in Dinslaken geboren, studierte an der Universität Köln Sonderpädagogik und an der Fachhochschule Frankfurt/Main Musiktherapie. Von 2012-2016 war er Lehrbeauftragter im Masterstudiengang Klinische Musiktherapie der Universität Münster. Er forscht zur Musiktherapie mit geistig behinderten Kindern sowie zum Belastungserleben und zur Behinderungsverarbeitung der betroffenen Eltern. Seit 2003 ist er als Lehrer an der Waldschule tätig (Förderschule Geistige Entwicklung in Hünxe) und seit 2007 als Musiktherapeut in freier Praxis (
www.Praxis-für-Musiktherapie.com)