Jahrbuch Musiktherapie / Music Therapy Annual

Band 8 (2012) Das Hören des Therapeuten / Vol. 8 (2012) The Therapist’s Ability to Hear

Frank G. Grootaers

Hören: Ein Indem

2012 DOI: https://doi.org/10.29091/9783752001907/006 Page 99 - 119 9783752001907_006.pdf 292.6 KB

Der vorliegende Essay dokumentiert anhand einer einfallenden Alltagsepisode in einem Fallbeispiel die Komplexität eines „antwortenden Hinhörens“. Der Kontext ist eine exploratorische musiktherapeutische Beratung. Nachdem es in der vorigen Sitzung um die Auslegung der gemeinsamen musikalischen Produktion ging, geht es in dieser dritten Sitzung um das Studium einer einfallenden Alltagsepisode und deren wirkungsanalytische Interpretation. Aus der Komplexität dieses Geschehens werden zwei wichtige Aspekte herausgestellt: das „antwortende Hinhören“ und die „Zweieinheit-Gestaltbrechung“. Die Situation zu zweit geht weit über ein Ich-Du hinaus und lässt sich nicht angemessen mit einem Sender-Empfänger-Schema erfassen. Das „antwortende Hinhören“ (Waldenfels) wird vielmehr bestimmt von einer Polymorphie (mehreren seelischen Ordnungen), einer Polychronie (mehreren Zeiten) und einer Polytopie (verschiedenen Orten und Schauplätzen) in bzw. an denen sich beide Gesprächspartner zugleich befinden. In der untrennbaren „Zweieinheit-Gestaltbrechung“ (Salber) bleibt zugleich aber die Differenz der beiden Hier-Orte aufrecht erhalten. Das stattfindende Erzählen und antwortende Hinhören lässt sich somit als ein „Indem“ begreifen. Das antwortende Interpretieren entwickelt, indem es einen „Ablauf zulässt“, eine „allmähliche Verfertigung“ (Kleist) mehrerer miteinander im Widerstreit liegender seelischer Ordnungen. Die Allmählichkeit arbeitet auf der Seite des einfallenden Denkens bei beiden Parteien. Es ist dies eine Strategie der Epoché – der Zurückhaltung eines verfrühten Schon-zu-wissen-Meinens; eine solche Beratung nimmt die jeweils konkrete Lebensweise eines Menschen in den Blick und studiert den Bezug zwischen den darin sich tummelnden seelischen Ordnungen (Konstruktion im Ganzen). Die sich allmählich verfertigende Interpretationsrichtung nimmt ihren Ansatz sowohl im Sagen als auch im Gesagten (Text). Sie hält Abstand zu Krankheitslehren und steht im Kontext einer eigens bezahlten Beratung.

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