Gottfried von Straßburg greift in seinem Tristan auf Erzähltraditionen und Motive antiker, inselkeltischer, französischer, mittellateinischer und deutscher Provenienz aus und integriert auch Sachverhalte materieller Kultur und gelehrter Wissensvermittlung. Die fünf Essays thematisieren Text-Kontext-Beziehungen verschiedener Art. Nicht nur zu den Literaturen seiner Zeit setzt sich Gottfried in Beziehung, auch Praktiken höfischer und klerikaler Kultur, Weltliches und Sakrales, handwerkliche Techniken und verschiedenste Wissensgebiete gehören zum Einzugsgebiet des Textes. Gezeigt wird, wie sich aus solch multipler Bezüglichkeit die faszinierende Ästhetik und Poetik des Romans konstituieren.
Gottfried von Straßburg greift in seinem Tristan auf Erzähltraditionen und Motive antiker, inselkeltischer, französischer, mittellateinischer und deutscher Provenienz aus und integriert auch Sachverhalte materieller Kultur und gelehrter Wissensvermittlung. Die fünf Essays – die unabhängig voneinander gelesen werden können – thematisieren Text-Kontext-Beziehungen verschiedener Art. Gezeigt wird, wie sich aus solch multipler Bezüglichkeit die faszinierende Ästhetik und Poetik des Romans konstituieren.
Der erste Essay (Die Rückkehr der Sirenen des Boethius) verfolgt die mythopoetischen Bezüge der Sirenenberufungen im Roman. Als Camenen apostrophierte Sirenen, die mit den Musen identifiziert werden, gibt es auch in der Consolatio Philosophiae des Boethius. Die Vertreibung dieser elegischen Dichtermusen durch die personifizierte Philosophie geht mit der Aufwertung der philosophischen Musen und der Lehrdichtung einher. Bei Gottfried kehren die Sirenen des Boethius zurück, und mit ihnen die bei Boethius verworfenen Leidenschaften und ihre ‚süßen Gifte‘.
Der zweite Beitrag (Poetisches Gold) geht einer zentralen poetologische Metapher Gottfrieds nach. Bezugnahmen auf die Fertigung goldverzierter Stoffe, auf das alchemische Herstellen von Gold und auf Goldskulpturen machen Gold in diesem Text zur Chiffre für die Liebeskonzeption, die Sprache und das poetische Werk als solches.
Gegenstand des dritten Kapitels (Isolde, niuwe sunne) ist Tristans Isoldelob. Die emphatische Rede von der neuen Sonne, die nicht mehr in Mykene aufgehe, sondern ‚hier‘, bezieht sich gleichermaßen auf den Mythos sowie auf geistliche und weltliche Literaturen. Das „hier“ des Sonnenaufgangs ästhetischer Schönheit verweist letztlich auf das Ereignis der Dichtung selbst. Gottfrieds Frauenpreis ist mithin konsequent poetologisch zu lesen.
Der vierte Essay behandelt die Bettgespräche zwischen Marke und Isolde (bettegeld – Anthropologie der Schauspieler). Der Essay zeigt, dass sich ihr Sinn nicht in List und Replik erschöpft, sondern dass sie ihre rabulistische Komik erst entfalten, wenn sie einerseits vor dem Hintergrund höfischer dissimulatio, andererseits vor dem Hintergrund einer universalen Problematik menschlichen Ausdrucks betrachtet werden.
Der letzte Essay des Buches (rehte güete und guldîne linge) geht auf Gottfrieds Umgang mit Allegorie und Allegorese ein. Die multiplen Bezüglichkeit von Gottfrieds Poetik zeigt sich auch im Schließmechanismus der Pforte zur Minnegrotte. Auch hier überschneiden sich weltliche und geistliche Bezüge, allegorische Bezüge werden dabei in intertextuelle Verweise umgebaut. Erschlossen werden in der Minnegrottenallegorie Gottfrieds sprachliche Erotoästhetik und Erotodidaxe.
Prof. Dr. Tobias Bulang
Geboren am 18. 11. 1971 in Bautzen. Nach dem Studium der Germanistik und Philosophie in Dresden und Columbus (U.S.A.) erfolgte 2002 die Promotion mit einer Arbeit über Historismus und Literatur an der TU Dresden. Nach Stationen in Göttingen, Dresden und Zürich Habilitation mit einer Arbeit über „Enzyklopädische Dichtungen“ an der Universität Zürich (2009). Nach einer Ratsstelle und Lehrstuhlvertretungen an der LMU München erfolgte 2012 der Ruf an die Ruprecht Karls Universität Heidelberg (Ältere deutsche Philologie mit dem Schwerpunkt wissensvermittelnde Literatur). Herausgeber der Zeitschrift Daphnis. Forschungen zur deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.