Der spätmittelalterliche Minnedialog ‚Christus und die minnende Seele’ schildert in 20 bis 24 Einzelszenen das Fortschreiten der Seele als sponsa auf dem Weg zur mystischen Vereinigung mit Christus. Die vorliegende Arbeit liefert erstmalig eine gründliche Untersuchung der gesamten Überlieferung. Eine eingehende Analyse der Mitüberlieferung und der Struktur und des Inhalts des Bilderbogens gewährt außerdem Einblicke in den spätmittelalterlichen Umgang mit damals oft umstrittenen Themen wie mystische Erfahrung und die Rolle von Bildern im religiösen Leben.
Der spätmittelalterliche Minnedialog ‚Christus und die minnende Seele’, ursprünglich als Bilderbogen konzipiert, schildert das Fortschreiten der Seele als sponsa auf dem Weg zur mystischen Vereinigung mit Christus. Jedes der 20 bis 24 Einzelszenen wird von einem Dialog in Form von zwei Reimpaarzeilen begleitet, die in späteren Fassungen zum Teil stark erweitert wurden. Die aus acht Handschriften, vier Einblattdrucken und einem Frühdruck bestehende Überlieferung reicht vom späten 14. Jahrhundert bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts hinein, wobei vier Fassungen zu unterscheiden sind.
Die Arbeit ist im Wesentlichen der überlieferungsgeschichtlichen Methode verpflichtet, was bei ‚Christus und die minnende Seele’ eine interdisziplinäre Herangehensweise erfordert, die aus den Bereichen der Handschriftenkunde, Sozialgeschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Theologie schöpft.
Die vorliegende Arbeit liefert erstmalig eine gründliche Untersuchung der gesamten Überlieferung. Zusätzlich bietet ein ‚ikonographischer Katalog’ neben Beschreibungen sämtlicher Illustrationen auch Transkriptionen der Überschriften und Begleittexte sowie eine Dokumentation und Analyse der sonstigen Ausstattung der Handschriften.
Anhand dieser paläographischen Untersuchungen lässt sich sowohl die geographische, chronologische und sozialgeschichtliche Verankerung des Werks bestimmen als auch eine Vorstellung des intendierten Gebrauchs und der tatsächlichen Rezeption von ‚Christus und die minnende Seele’ samt Bildern.
Eine ausführliche Behandlung der Mitüberlieferung gewährt nicht nur Einblicke in die Rezeption von ‚Christus und die minnende Seele’, sondern auch in den spätmittelalterlichen Umgang mit damals oft umstrittenen Themen wie mystische Erfahrung und die Rolle von Bildern im religiösen Leben.
Schließlich liefert eine Analyse des kompletten Bilderbogens fundamental neue Erkenntnisse. Erstens hat der Bilderbogen eine stark ausgeprägte vertikale Struktur, die der Betrachterin einen immer differenzierteren Umgang mit Bildern abverlangt. Außerdem zeigt der Vergleich früherer Fassungen mit einer späteren Fassung, wie stark sich der Umgang mit mystischer Spiritualität im mystikfeindlichen 15. Jahrhundert verändert hat.
Diese Untersuchung der gesamten Überlieferung aus paläographischer, sozialgeschichtlicher, kunsthistorischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive bringt zum Vorschein, wie ‚Christus und die minnende Seele’ die Spannungen und Gegenpole der spätmittelalterlichen Literaturlandschaft widerspiegelt. Von Laien wie Religiosen, von Männern wie Frauen gelesen, aus Bild und Text bestehend, als Handschrift und Druck, in der Volkssprache und teilweise auch auf Latein überliefert, hat ‘Christus und die minnende Seele’ zwei Jahrhunderte lang im wahrsten Sinne des Wortes ‚weitergelebt.’
„Das Buch von Amy Gebauer ist in mehrerer Hinsicht ein gelungener Brückenschlag. (...) Das Werk gliedert sich nach einer Einleitung in fünf Kapitel gegliedert es folgen ein summarischer Abschnitt zu Überlieferung, Text und Ikonographie, eine Zusammenfassung und die üblichen, detaillierten Listen, Indizes und die Tafeln. (...) Dem Buch ist über das enge Fachkollegium hinaus erhebliche Verbreitung zu wünschen, da es sowohl formal als auch buchgestalterisch ansprechend gearbeitet ist und eine wahre Fundgrube für die weitere interdisziplinäre Forschung darstellt.“
Von Markus Vinzent
In: Theologische Literaturzeitung 138 (2013) 7/8, S. 816-817.
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“ The author is to be commended for the meticulous archival and librarious research that undergirds the identification and presention of the volume’s thirteen principal source documents. Although she uncovered no previously unknown manuscripts or long-lost incunable, Gebauer’s identification of these thirteen editions of “Christus und die minnende Seele” as a body of documents worth collective analysis is an accomplishment that ought not be overlooked. As she correctly, if perhaps too modestly, remarks in her Introduction, she has indeed coherently fashioned “as a unit” a set of documents, their texts and images, that the two most eminent twentieth-century historians of mysticism, Bernard McGinn and Kurt Ruh, inexplicably did not examine in their own studies in any sustained way. (...)
In sum, Gebauer has brought into scholarly light a neglected text and analyzed it in challenging and creatively convincing ways. In so doing she has shed light not just on a set of documents but on some of the most important aspects of late medieval religious culture. The volume—250 pages of careful presentation and perspicacious analysis, 30 pages of thoroughly helpful back matter, and a stunning 92 plates—is to be very much recommended.”
David J. Collins, SJ
In: Journal of English and Germanic Philology. 112 (2013) 2. S. 251-252.
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„Insgesamt bietet dieses Buch dreierlei: zum einen eine saubere Aufarbeitung der Überlieferung eines wichtigen mystischen Texts aus der Übergangszeit zwischen Handschrift und Buchdruck, zum anderen einige spannende Detaildarlegungen zur Geschichte einzelner Handschriften und ihrem sozialen Kontext, drittens eine überzeugende Deutung von Ikonographie und Text. Was darüber ein wenig (wenn auch nicht gänzlich) verloren geht, ist die Einbettung von Text und Bild in ihre frömmigkeitsgeschichtlichen Traditionen. Das ist unter der überlieferungsgeschichtlichen Perspektive, die Gebauer gewählt hat, im Grunde nur konsequent. Schließlich liefert das letzte Kapitel eine überzeugende Interpretation – aber immer sehr eng an der konkreten Überlieferung entlang. Da muss die reiche Tradition zum Teil eng verwandter mystischer Texte, die sich des gleichen Bildrepertoires bedienen, ohne ersichtlich auf denselben Grundtext aufzubauen, beinahe zwangsläufig außen vor bleiben. Trotzdem hätte man sich – gerade mit Blick auf ein weiteres, vielleicht sogar interdisziplinäres, an Fragen mittelalterlicher Frömmigkeitsgeschichte interessiertes Publikum – zumindest ein paar Zeilen zur Einordnung gewünscht, zumal manche dieser Texte in der älteren Handbuchliteratur von Gödeke bis Wackernagel noch unter ähnlichen oder gar demselben Titel firmieren. Das hätte man in der Einleitung leicht unterbringen können. Dass es unterblieben ist, tut aber der Qualität dieser Arbeit keinen wesentlichen Abbruch.“
Hiram Kümper
In: IASLonline [28.11.2012]
http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3515 (16. Januar 2013)
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„Das Buch (zugl. Univ. of Illinois, Chicago, Diss., 2010) behandelt in erschöpfender Weise einen Textkomplex, der den Weg zur Erreichung der Unio mystica im Dialog zwischen Christus und der Seele als Stufenfolge asketisch-mystischer Übungen darstellt und der in vier verschiedenen Versionen überliefert ist: 1. als Bild-Text-Kombination auf drei Einblattholzschnitten und einem Einblattdruck ca. 1460-1560 mit 20 Holzschnitten und zugehörigen Vierzeilern, 2. als reine Textfassung der Vierzeiler in vier Hss. vom 3. Viertel des 14. Jh. bis ins 16. Jh., 3. als umfangreichere Dichtung von 2.112 Versen (Die minnende Seele) in vier illuminierten alem. Hss. des 15. Jh., 4. als illustrierter ERfurter Druck von ca. 1500 mit den Vierzeilern nebst Prosakommentaren. Die Abbhandlung beschreibt I. die Überlieferungszeugen der vier Versionen (15-74), bietet II. einen ikonographischen Katalog der illustrierten Zeugen mit Bildbeschreibungen und Textabdrucken (75-144), untersucht III. Textgeschichte, Komposition und Struktur sowie Verbreitung und Publikum (145-157), IV. Überlieferungskontexte und Gebrauch vor allem der 3. und weniger detailliert der 2. Version (158-191) und interpretiert V. die 1. Version anhand des von unten nach oben zu lesenden Augsburger Einblattdrucks von ca. 1560 (Taf. 1) im Hinblick auf die je acht Stufen der via purgativa und via illuminata
sowie die vier Stufen der via unitiva (192-253). Eine deutsche Zusammenfassung (255-258), ein Hss.-Register und ein Namen- und Sachregister erleichtern die Benutzung des mit 92 größtenteils farbigen Tafeln vorzüglich ausgestatteten Bandes.“
Frieder Schanze, Tübingen
In: Germanistik. 52 (2011) Heft 3-4. S. 710-711.
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“This beautifully-produced monograph constitutes a welcome and much-needed contribution to hte analysis of “Christus und die minnende Seele”, one of the literary and iconographic puzzles of late medieval devotional culture. The text, a Middle High German verse dialogue between Christ and the soul, combines nuptial imagery with discourses of violence and subjugation, made all the more vivid by accompanying series of illustrations. Although this work has received some critical attention from Jeffrey Hambuger and Hildegard Keller, there was, until now, no comprehensive study of its sources, transmission, literary traditions and iconography. (...)
The arguments are elegantly presented, drawing on the various discourses of literary analysis, theology, art history and social history. Overall, G. helps us towars a better understanding of a difficult but fascinating text.”
Annette Volfing
In: Mittellateinisches Jahrbuch. 47 (2012) 1. S. 106.
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“Overall, then, this is an excellent study of the textual transmission and visual illustration programs of “Christus und die minnende Seele”. And as if that were not enough, we are also given a list of the illustrations, a bibliography, a general index, and then the 92 color and b/w plates showing us the most important episodes in the individual versions. A number of aspects of this text now so well examined with respect to the textual transmission and the interaction between text and image, will probably stimulate further research: the significant role women played in the reproduction of this account, the extraordinarily rich illustration program, and the degree of violence conceptually employed in the discussion of the mystical experience.
Gebauer deserves our full respect for this most impressive critical analysis of the rich manuscript, broadsheet, and print tradition, which she could carry out only by way of long research stays at various libraries.”
Albrecht Classen
In: The Medieval Review. TMR 12.01.20
https://scholarworks.iu.edu/dspace/handle/2022/14140 (9. Februar 2012)
Amy Gebauer
1969 geboren in Berlin
1991 B.A. Valparaiso University
1991-98 Teaching Assistant, University of Illinois at Urbana-Champaign, Department of Germanic Languages and Literatures
1993 M.A. University of Illinois at Urbana-Champaign
1993-98 Promotionsstudium, University of Illinois at Urbana-Champaign
1993-94 und 1996-97 Auslandsstudium an der Universität Heidelberg
1998-2003 Lektorin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Regensburg
2003-2008 Selbständige Tätigkeit, Englischtrainerin
2008-2009 Lektorin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Regensburg
2010 Ph.D. Universität Augsburg
seit 2010 Lektorin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Regensburg
Forschungsschwerpunkte: geistliche Literatur des Spätmittelalters, insbesondere die deutsche Mystik, Überlieferungsgeschichte
Es ist das Anliegen dieser Buchreihe, in der Dissertationen, Habilitationsschriften, sonstige monographische Darstellungen und Sammelbände erscheinen werden, die Interdisziplinarität der modernen Mittelalterforschung noch mehr hervorzuheben und zu fördern als dies bisher der Fall ist. Angenommen werden Arbeiten aus allen Gebieten der Mediävistik, sofern der Aspekt der Interdisziplinarität darin betont wird, d.h. sofern sie die Grenzen eines einzelnen Faches zu überschreiten suchen.