Das „Feldbuch der Wundarznei“ des Wundarztes Hans von Gersdorff (1517) ermöglicht außergewöhnliche Einblicke in die europäische Wissenskultur an der Epochenschwelle zwischen Spätmittelalter und Frühneuzeit: Seine besondere Form, seine lange Rezeptionsdauer, seine thematische Ausrichtung, seine mediale Hybridität und seine vielfältige Überlieferungsgeschichte geben in geradezu einzigartiger Weise Aufschluss über die Frage, wie medizinisches Wissen in der Vormoderne organisiert, präsentiert, legitimiert und rezipiert wurde. Die vorliegende Studie analysiert das „Feldbuch“ in historisch-vergleichender Perspektive und untersucht die davon ausgehenden Prozesse der Wissensproduktion und -rezeption durch eine methodische Matrix aus wissenssoziologischen, medizingeschichtlichen, linguistischen und buch- und bildwissenschaftlichen Ansätzen.
Das „Feldbuch der Wundarznei“ (1517) des Wundarztes Hans von Gersdorff ermöglicht außergewöhnliche Einblicke in die europäische Wissenskultur an der Epochenschwelle zwischen Spätmittelalter und Frühneuzeit: Seine besondere Form, seine lange Rezeptionsdauer, seine thematische Ausrichtung, seine mediale Hybridität und seine vielfältige Überlieferungsgeschichte geben in geradezu einzigartiger Weise Aufschluss über die Frage, wie medizinisches Wissen in der Vormoderne organisiert, präsentiert, legitimiert und rezipiert wurde. Für die historisch vergleichende Analyse des „Feldbuchs“ kombiniert die vorliegende Studie wissenssoziologische, medizingeschichtliche, linguistische und buch- und bildwissenschaftliche Herangehensweisen, um die von dem Werk ausgehenden Prozesse der Wissensproduktion und -rezeption umfassend abzubilden.
Gersdorffs „Feldbuch“ entstand auf der Grundlage älterer Vorlagen und die biographisch bedingten Präferenzen des Kompilators sind deutlich erkennbar. So beruhte etwa die Integration des umfangreichen Aussatztraktats auf seiner Expertise und seinem ausgeprägten Interesse an der Aussatzdiagnostik. Die Humoralpathologie erweist sich als grundlegendes Deutungsmuster der medizinischen Inhalte, die von Bitten um göttlichen Beistand eingerahmt werden. Sowohl der Verfasser als auch der Drucker und der Künstler nutzten jeweils spezifische mediale Präsentationsstrategien, um dem im „Feldbuch“ dargelegten Wissen Legitimität zu verleihen. Der Trias „auctoritas - ratio - experientia“ kam dabei als Legitimitätsressource eine zentrale Bedeutung zu. Die vielschichtigen Wandlungen, denen das Werk im Laufe der Jahrhunderte unterlag, schlugen sich denn auch hauptsächlich in der Form und medialen Ausgestaltung der (Nach-) Drucke nieder.
Die Abbildungen des Feldbuchs sind polyfunktional angelegt und ergänzen sich in ihrer Medialität, um das Wissen zu ordnen, vor allem aber, um den Leser von der Richtigkeit des Wissens zu überzeugen und auf dessen Wahrnehmungs-, Verständnis- und Erinnerungsprozesse zu wirken. Die Medien geben Hinweise zum Gebrauch der Schrift und ermöglichen verschiedene Lesarten des Werkes. Für die anhaltende Rezeption des „Feldbuchs“ bis ins 17. Jahrhundert war ein Bündel von Faktoren ausschlaggebend. Es erreichte einen breiten Rezipientenkreis, der von Wundärzten über hochrangige Bürger, Gelehrte und Adelige bis hin zu einzelnen Kurfürsten reichte. Die Leser des Gersdorffschen Werkes interessierten sich vor allem für die Rezepttexte und die Ausführungen zu Anatomie und Aderlass, sie markierten diese Passagen oder übertrugen sie handschriftlich. Die Funktionen des „Feldbuchs“ konnten je nach Besitzer und Leser zwischen Sammlungsobjekt, Lesebuch und erweiterbarem Wissensspeicher oszillieren.
„Das vorliegende Buch, das in der Reihe „Trierer Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften“ erschien, ist denn auch kein Nachdruck des Originals, sondern eine wissenschaftlich fundierte Studie, die das „Feldbuch“ in historisch-vergleichender Perspektive untersucht. Entsprechend widmet sich die Autorin auch der Frage, wie Wissen in jener Zeit gewonnen, produziert und weitergegeben wurde – das „Feldbuch der Wundarznei“ wird dadurch geradezu zu einem „Vehikel“ für eine Reise in die europäische Wissenskultur an der Epochenschwelle. Interessant ist auch, wer sich das Feldbuch, das lange Zeit als Grundlegendes Werk der europäischen Chirurgie Verwendung fand, anschaffte. Auch dieser Frage widmet sich die Autorin, die darlegen konnte, dass das Werk bis ins 17. Jahrhundert eine breite Leserschaft fand, die selbstverständlich Wundärzte und Gelehrte umfasste, aber auch hochrangige Bürger, Adelige sowie Fürsten.“
Von Heiko P. Wacker
In:
http://www.landsknechte-bretten.de/wissenswertes/buchtipps-2/, 04.12.2015.
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„die Dissertation (überzeugt) durch sprachliche Präzision und genaue Analysen besonders der verschiedenen Rezeptionswege des „Feldbuchs“ im dritten Teil, so dass von ihren Beobachtungen im Kleinen vorsichtige Rückschlüsse auf den medizinischen Buchmarkt möglich sind. Daher kann Panse am Ende Ihres Buches (S.215) mit Recht ihren am Anfang geäußerten Anspruch, mit ihrer Studie zum „Feldbuch“ zu der Erforschung der vormodernen Wissenskultur beizutragen, wieder aufgreifen.“
Von Jana Madlen Schütte
In: sudhoffs Archiv Heft 1 (2013) S.127.
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„Panses Studie stellt einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der volksprachlichen medizinischen Wissenskultur, ihrer Präsentation und Rezeption am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit dar. Der Gefahr, die Besonderheiten des Feldbuchs überzubewerten, begegnet sie mit dem wiederholten Vergleich mit der "Chirurgia" und dem "Rosengarten". Der in volksprachlichen Inkunabeln und Frühdrucken fassbare Horizont medizinischen Wissens um 1500 wird differenziert vorgestellt und seine Präsentation in Text und Bild präzise analysiert. Die umfassenden Rezeptionsspuren deuten darauf hin, dass dieses Werk tatsächlich das Bedürfnis eines aus Fachleuten und Mitgliedern gehobener sozialer Schichten bestehenden Publikums nach solchem Wissen befriedigte. Die angestrebte Einbettung und Historisierung von vormodernem medizinischem Wissen in seinen sozialfunktionalen Kontexten gelingt Panse damit überzeugend.“
Von Maximilian Schuh
In: sehpunkte. Reyensionsorgan fuer Geisteswissenschaftler (
http://www.sehepunkte.de/2013/09/22562.html, 25.09.2013, 15:05)
Melanie Panse
geb. 1981, WS 2000-SS 2001 Human- und Zahnmedizinstudium an der Philipps-Universität Marburg; SS 2001-SS 2006 Lehramtsstudium der Fächer Englisch und Geschichte an der Universität Kassel, April 2007-Mai 2010 Stipendiatin der Universität Kassel, März-April 2009 Stipendiatin am Kunsthistorischen Institut, Max-Planck-Institut in Florenz.
Seit WS 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Mittelalterliche Geschichte der Universität Duisburg-Essen bei Prof. Dr. Amalie Fößel; Februar 2011 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Kassel bei Prof. Dr. Ingrid Baumgärtner mit der Dissertation: „Hans von Gersdorffs „Feldbuch der Wundarznei“. Produktion, Präsentation und Rezeption von Wissen“. (Aktuell: Habilprojekt, das sich mit den Handlungsspielräumen der Kreuzfahrerfrauen beschäftigt)
Forschungsschwerpunkt: Wissens- und Kulturgeschichte, Text-Bild-Beziehungen
Die Publikationsreihe „Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften“ versteht sich als Forum für historisch orientierte und fächerübergreifende Forschungen aus dem Bereich der Kulturwissenschaften. Neben Sammel- und Tagungsbänden umfasst das Spektrum der Reihe auch monographische Studien und Ausstellungskataloge.
Als Herausgeber der Buchreihe fungiert der Vorstand des im Rahmen der Forschungsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz finanzierten, an der Universität Trier angesiedelten „Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums“ (HKFZ) Trier. Das derzeitige Forschungsthema des HKFZ „Räume des Wissens – Orte, Ordnungen, Oszillationen“ wird in vernetzten Projektgruppen an der Universität Trier sowie in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern aus dem In- und Ausland bearbeitet.