Im Zentrum des Bandes „Wissensraum Film“ steht die Frage nach der Relevanz relational-räumlicher Konzepte für die Analyse filmischer Wissensproduktion: Wie stellen Filme räumliche Zusammenhänge und damit spezifische Wissensformationen her? Wissenschaftliche, dokumentarische, politische und künstlerisch ambitionierte Filme werden hinsichtlich ihrer räumlichen Verfasstheit und epistemischen Effekte beschrieben und theoretisch gefasst. Dabei werden sie zu anderen Medien ebenso wie zu außerfilmischen Wissensdiskursen in Beziehung gesetzt. Mit Beiträgen von Henning Engelke, Oliver Fahle, Lisa Gotto, Stephan Günzel, Malte Hagener, Vinzenz Hediger, Lars Nowak und Daniela Wentz.
Seit einigen Jahren wenden sich Untersuchungen zum Film nicht nur vermehrt den wissensgeschichtlichen und epistemologischen Bedingungen, sondern auch den räumlichen Aspekten des Mediums zu. Jüngere Studien befassen sich einerseits mit den Ordnungen des Wissens im Film, analysieren Praktiken der Wissensgenerierung oder richten den Fokus auf das selbstreflexive Wissen des Mediums. Andererseits geraten räumliche Dimensionen filmischer Gestaltung in den Blick. Eine Zusammenführung der wissens- und raumtheoretischen Ansätze mit Bezug auf den Film hat bisher jedoch kaum stattgefunden. Vor diesem Hintergrund setzt sich der Band zum Ziel, die filmische Wissensproduktion erstmals über eine Analyse des filmischen Raums zu erschließen.
Das Modell „Wissensraum Film“ betrachtet den Film dabei als Medium, welches konkrete Wissensbestände generiert oder bestehendes Wissen verbreitet und transformiert. Zugleich basiert es auf der Beobachtung, dass filmisch generiertes Wissen immer schon räumlich verfasst ist, dass der Film also spatiale Beziehungen, Dynamiken und Transformationen erzeugen muss, um sein Wissen entfalten zu können. Die übergreifende Fragestellung des Bandes richtet sich vor allem auf die Anschlussfähigkeit relationaler Raumkonzepte für die Analyse filmischer Wissensproduktion: Wie stellen Filme räumliche Zusammenhänge und damit spezifische Wissensformationen her? In welcher Relation stehen die einzelnen Wissenselemente zueinander? Und auf welche Weise bindet der Film die räumlichen Gegebenheiten seiner Vorführung in die Wissensproduktion ein und entwickelt dabei auch selbstreflexives Wissen?
Der Band erforscht den Film als spezifisches Medium der Wissensproduktion. Filmisches Wissen ist nicht allein die Darstellung, Übersetzung oder Popularisierung etwa wissenschaftlichen oder literarischen Wissens, ebenso wie der filmische Raum nicht im euklidischen Raum der Physik aufgeht. Vielmehr existieren spatiale und epistemische Möglichkeitsbedingungen und Potenziale, die der Film in den unterschiedlichen Phasen seiner Entwicklung exklusiv besitzt. Die Beiträge des Bandes entwerfen Beschreibungsmodelle, die diese mediale Spezifik erfassen können, spüren unterschiedlichen Gattungen, Oeuvres und Ästhetiken nach, um deren epistemische Effekte zu differenzieren, und setzen den Film zu anderen Medien ebenso wie zu außerfilmischen Diskursen in Beziehung.
„Der Sammelband Wissensraum Film führt die Konzepte Raum, Wissen und Film nicht nur wissenshistorisch und medienwissenschaftlich zusammen. Vielmehr erkunden die Beiträge, wie Wissen durch seine spatiale Entfaltung im Film hervorgebracht wird. Der Band fragt somit nach der räumlichen Gebundenheit von Wissen und den genuin filmischen Modi der Wissensproduktion durch seine Verortungen. Angesichts der Engführung dreier solch großer Konzepte könnte befürchtet werden, dass die Befunde zu weit und damit entweder essentialistisch oder unergiebig ausfallen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Triangulation von Raum, Wissen und Film erweist sich als methodische Lupe, welche das Wissen über die einzelnen Elemente nicht verwässert, sondern schärft. Hervorzuheben ist in diesem Sinne sowohl die durch die Herausgeber und Herausgeberinnen geleistete Bestimmung spatialer und epistemischer Möglichkeitsbedingungen und Potenziale des Films als auch der einführende Beitrag „Die epistemischen Motoren des Kinos“ von Johannes Pause, welcher das dem Band zugrunde liegende WissensraumKonzept aufbereitet. Er unternimmt eine heuristische Differenzierung dreier Wissensebenen im Film, in die die Beiträge des Bandes verortet werden: zunächst Wissen, das vom Film aufgenommen und thematisiert wird (Wissen im Film), als nächstes Wissen, welches durch die filmische Technologie erst ermöglicht wird (Wissen durch Film), und zuletzt Wissen, welches der Film von sich selbst kreiert (Wissen über Film). Die Herausgeber und Herausgeberinnen ordnen die Beiträge nach den Möglichkeitsbedingungen der Wissensgenese und entwickeln dazu die drei Begriffe „Entfaltung“, „Rahmung“ und „Verschiebung.“
Von Yumin Li
In: sehepunkte 16 (2016), Nr. 6.
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„Angesichts der durchweg hohen Qualität der Beiträge ist den Herausgeberinnen mit Wissensraum Film ein bemerkenswertes Buch gelungen, das auf innovative Weise raumtheoretische Überlegungen und epistemologische Problemstellungen am Ort des Films zusammendenkt. Nicht zuletzt demonstriert es so, wie notwendig und anschlussfähig die Auseinandersetzung mit oft unhinterfragt bleibenden Grundprämissen der Medienwissenschaft – Wissensformen, Wissensformaten, Wissenskulturen – weiterhin bleibt.“
In: Medien Wissenschaft 3/15, S. 387-389.
Irina Gradinari ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. Von 2010 bis 2013 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Germanistischen Institut der Universität Trier tätig. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt beschäftigt sie sich mit der Erinnerungspolitik west- und ostdeutscher sowie russischer Kriegsfilme über den Zweiten Weltkrieg.
Ausgewählte Publikationen: Gradinari, Irina: Genre, Gender und Lustmord. Mörderische Geschlechterfantasien in der deutschsprachigen Gegenwartsprosa, Bielefeld 2011; Dies. u.a. (Hgg.): Geschlechter-Szene. Repräsentation von Gender in Literatur, Film, Performance und Theater, Freiburg 2010; Dies. u.a. (Hgg.): Texturen – Identitäten – Theorien. Wortmeldungen aus der jungen Slavistik, Potsdam 2011; Dies. u.a. (Hgg.): Verbrechen – Fiktion – Vermarktung. Gewalt in den zeitgenössischen slavischen Literaturen, Potsdam 2013.
Dorit Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe ‚Bauformen der Imagination. Literatur und Architektur in der Moderne‘ an der Freien Universität Berlin. Von 2011–2013 war sie Postdoc-Stipendiatin am Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum Trier (HKFZ). Ihr aktuelles Forschungsprojekt beschäftigt sich mit Architekturen des Wissens in Literatur und Bildmedien der Polarforschung.
Ausgewählte Publikationen: Müller, Dorit: Gefährliche Fahrten. Das Automobil in Literatur und Film um 1900, Würzburg 2004; Dies./Boden, Petra (Hgg.): Populäres Wissen im medialen Wandel, Berlin 2009; Dies./Scholz, Sebastian (Hgg.): Raum, Wissen, Medien. Zur raumtheoretischen Reformulierung des Medienbegriffs, Bielefeld 2012; Dies./Weber, Julia (Hgg.): Die Räume der Literatur. Exemplarische Zugänge zu Kafkas Erzählung „Der Bau“, Berlin 2013.
Johannes Pause ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des ERC-Projekts „The Principle of Disruption“ an der Technischen Universität Dresden. Von 2009-2014 war er als Postdoc-Stipendiat und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum (HKFZ) Trier tätig. In seinem aktuellen Forschungsprojekt beschäftigt er sich mit dem politischen Kino der 1960er- bis 2000er-Jahre.
Ausgewählte Publikationen: Pause, Johannes: Texturen der Zeit. Zum Wandel ästhetischer Zeitkonzepte in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Köln 2012. Ders./ Nanz, Tobias (Hgg.): Das Undenkbare filmen. Atomkrieg im Kino, Bielefeld 2013.
Die Publikationsreihe „Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften“ versteht sich als Forum für historisch orientierte und fächerübergreifende Forschungen aus dem Bereich der Kulturwissenschaften. Neben Sammel- und Tagungsbänden umfasst das Spektrum der Reihe auch monographische Studien und Ausstellungskataloge.
Als Herausgeber der Buchreihe fungiert der Vorstand des im Rahmen der Forschungsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz finanzierten, an der Universität Trier angesiedelten „Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums“ (HKFZ) Trier. Das derzeitige Forschungsthema des HKFZ „Räume des Wissens – Orte, Ordnungen, Oszillationen“ wird in vernetzten Projektgruppen an der Universität Trier sowie in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern aus dem In- und Ausland bearbeitet.