In Deutschland leben mittlerweile 1.5 Millionen Menschen kurdischer Herkunft, doch ist der Austausch zwischen den beiden Sprachen Deutsch und Kurdisch auf künstlerisch-literarischer Ebene nur marginal. Erste literarische Werke kurdischer Autoren wurden in den letzten Jahren ins Deutsche übersetzt, eine Seltenheit ist bisher jedoch die Übersetzung deutscher Literatur in die kurdische Sprache. Abdullah Incekan, ein deutscher Autor und Pädagoge kurdischer Herkunft, hat es sich zum Ziel gemacht, die kurdische Sprache, deren Gebrauch in den Herkunftsregionen massiver Unterdrückung unterliegt, auch auf literarischer Ebene zu wahren und zu fördern. In seinem Lyrikband „Deutsche Gedichte / zweisprachig“ übersetzt er ausgewählte Gedichte deutscher Dichterinnen und Dichter aus unterschiedlichen Epochen ins Kurmanji-Kurdisch. Neben zahlreichen Gedichten aus dem West-Östlichen Divan von Johann Wolfgang von Goethe finden sich auch Werke von so bedeutenden Autoren wie Heinrich Heine, Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Erich Fried, Ulla Hahn und Ingeborg Bachmann.
„Wie klingen deutsche Gedichte auf Kurdisch? Das haben sich möglicherweise auch schon einige der in Deutschland lebenden 1,5 Millionen Kurden gefragt. Es gibt zwar einige wenige Übersetzungen kurdischer Autoren ins Deutsche, aber kaum deutsche Lyrik, die ins Kurdische übertragen worden ist. Auch in der Türkei, woher ein Großteil der Deutsch-Kurden stammt, ist es nahezu unmöglich, kurdische Übersetzungen deutscher Gedichte zu finden. Kurden die Goethe oder Ingeborg Bachmann lesen wollen, mussten das bisher also auf Deutsch oder Türkisch tun. Den wenigen kurdischen Verlagen, die noch nicht der restriktiven Assimilationspolitik des türkischen Staates zum Opfer gefallen sind, fehlen für Übersetzungen die Mittel. Nun hat der im Ruhrgebiet lebende kurdischstämmige Pädagoge Abdullah Incekan die Sache in die Hand genommen und den Band „Deutsche Gedichte“ (...) herausgebracht. Er versammelt Lyrik von Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Erich Fried, Ulla Hahn und Ingeborg Bachmann. Für den Deutschen Buchmarkt hält das Bändchen neben der Übersetzung ins Kurdische das Deutsche Original bereit, in Istanbul erschein es nur auf Kurdisch. Die Publikation ist einerseits ein schönes Zeichen der Anerkennung für die deutsche und die kurdische Sprache, gleichzeitig ist es ein politischer Akt: Um eine bedrohte Sprache zu stärken, müssen Werke der Weltliteratur in diese übersetzt werden.“
In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 4. Oktober 2020, Nr. 40, S. 38 Feuilleton.
Abdullah Incekan (1979), geboren in Türkisch-Kurdistan, lebt seit 1987 in Deutschland. Studium der Germanistik, Turkologie, Deutsch als Zweitsprache/Interkulturelle Pädagogik an der Universität Duisburg-Essen. Er lebt und arbeitet im Ruhrgebiet.