In der vorliegenden Studie wird die Position und die Bedeutung der beiden mittelalterlichen lateinischen Textfassungen der Aristotelischen Schrift De motu animalium – eine Übersetzung Wilhelms von Moerbeke und eine Paraphrase Alberts des Großen –, in der griechischen Überlieferung bestimmt und beschrieben. Eine methodische Einleitung zur „horizontalen Überlieferung“ und ein kulturhistorisches Kapitel umrahmen die textkritisch-stemmatologischen Ausführungen.
Dieses Buch widmet sich der mittelalterlichen Überlieferung von De motu animalium mit deutlichem Akzent auf der Untersuchung der Beziehungen der lateinischen Überlieferung zur griechischen Handschriftentradition. Die Studie entstand im Rahmen des von Oliver Primavesi geleiteten De motu-Editionsprojektes und unter Einbeziehung der darin geleisteten Vorarbeiten. Der Grund, eine Neuedition und damit auch Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung vorzunehmen, lag in der Forschungsentwicklung der letzten Jahre begründet: Erst vor kurzem konnten sowohl zur lateinischen als auch zur griechischen Überlieferung der Schrift entscheidende neue Erkenntnisse gewonnen werden. Pieter De Leemans hatte 2011 als Erster die beiden Texte der mittelalterlichen lateinischen Tradition, die Übersetzung Wilhelms von Moerbeke und die Paraphrase Alberts des Großen, einer detaillierten Studie unterzogen und eine Edition von Wilhelms Übersetzung sowie eine Rekonstruktion der Translatio anonyma, auf der die Paraphrase Alberts fußt, vorgelegt (Aristoteles Latinus XVII 1.iii bzw. 2.ii-iii). Auf De Leemanns’ Erkenntnissen zur Beziehung der lateinischen Texte und der griechischen Tradition fußend stellte Oliver Primavesi im selben Jahr den bis dahin unbekannten β-Zweig der Überlieferung vor, der als unabhängige Familie neben die in Martha Nussbaums Ausgabe von 1978 vorgestellten Handschriftengruppen a und b tritt.
Die vorgelegte Untersuchung verortet die beiden lateinischen Textzeugen bzw. ihre rekonstruierten griechischen Vorlagen in der Überlieferung und rekonstruiert dabei das Gefüge der unabhängigen griechischen Handschriften unter Beachtung der in den bisherigen Ausgaben nicht hinzugezogenen Manuskripte an mehreren entscheidenden Punkten neu. Die beiden nicht-erhaltenen Übersetzungsvorlagen Wilhelms können an jeweils herausragender Stelle im Stemma codicum lokalisiert, die Beziehung der von Albert verwendeten Translatio anonyma zur nahverwandten Handschrift Laur. gr. 87.21, auf die De Leemans aufmerksam gemacht hatte, näher bestimmt werden. Die Arbeit ist durch ein methodisches Kapitel zur Rekonstruktion von schwer durch „horizontale Überlieferung“ getroffenen Handschriftenbeziehungen am Anfang und ein weitgehend kulturhistorisches Schluss-Kapitel eingerahmt, das die These aufstellt, dass der älteste Aristoteles-Kodex, Vind. phil. gr. 100 (J), der für alle heute in ihm enthaltenen Aristotelischen Traktate Wilhelms von Moerbeke Vorlage gewesen ist, zur Zeit des Übersetzers – neben anderen zoologischen Schriften – auch De motu animalium enthielt und mit Moerbekes’ Erstvorlage zu ‚identifizieren‘ ist.
Peter Isépy
geboren 1985, Studium der Klassischen Philologie, der Erziehungswissenschaft und der griechischen Paläographie in München und Rom, Promotion 2013 (LMU München). Isépy ist Dozent für griechische Philologie an der Universität München. Forschungsschwerpunkte sind: Überlieferung der griechischen Literatur (v.a. Aristoteles), griechische Paläographie, Textkritik und -edition.