Das Buch bietet einen neuen Zugang zum Welschen Gast, indem es die Kategorie ‚Wissen‘ ins Zentrum der Analyse stellt. Dabei ist eine umfassende moraldidaktische Okkupation verschiedener Wissensbereiche zum Zweck der Vermittlung von ethischem Orientierungswissen zu beobachten, denn Tugendlehre und Wissensvermittlung gehen bei Thomasin Hand in Hand. Die Struktur und die unterschiedlichen Strategien, die er zur Präsentation von Wissensbeständen und Lehrinhalten nutzt, sind immer auf den konkreten Textzusammenhang und das aktuelle Thema sowie den didaktischen Zweck ausgerichtet. Diese Erkenntnis ermöglicht ein adäquates Verständnis des Werks und damit eine neue Gesamtdeutung.
Der „Welsche Gast“ des Klerikers Thomasin von Zerklære, entstanden 1215/16 im Friaul, ist die erste umfassende höfische Moral- und Tugendlehre in mittelhochdeutscher Sprache. Thomasins innovatives Werk bietet Einblicke in unterschiedliche Wissensbereiche, die für die höfische Kultur des frühen 13. Jahrhunderts relevant waren. Lange Zeit hat der „Welsche Gast“ wenig Aufmerksamkeit gefunden, was nicht zuletzt an seiner schlichten äußeren Form, der auf den ersten Blick unstrukturierten Gliederung sowie der Vermischung verschiedenster Themen, Traditionen, Wissensbestände und Lehrinhalte liegt. Die jüngere Forschung hat sich fast ausschließlich mit dem umfangreichen Illustrationszyklus befasst, der Thomasins Werk in beinahe allen Handschriften begleitet. Sie hat damit einen einseitigen Schwerpunkt gesetzt, der dem Werk nicht gerecht wird.
Das Buch bietet einen neuen Zugang zum „Welschen Gast“, indem es die Kategorie ‚Wissen‘ in den Vordergrund stellt. Dabei ist eine umfassende moraldidaktische Okkupation verschiedenster Wissensbereiche zum Zweck der Vermittlung von ethischem Orientierungswissen zu beobachten, denn Tugendlehre und Wissensvermittlung gehen bei Thomasin Hand in Hand. Aus dieser Sicht erweist sich die vordergründig disparate Organisation des Werks als vom Autor intendiert: Die Struktur und die unterschiedlichen Strategien, die Thomasin zur Präsentation von Wissensbeständen und Lehrinhalten nutzt, sind immer auf den konkreten Textzusammenhang und das aktuelle Thema sowie den didaktischen Zweck ausgerichtet; seine Systematik ist variabel und situativ gebunden. Diese Erkenntnis ermöglicht ein adäquates Verständnis von Thomasins „Welschem Gast“ und damit eine neue Gesamtdeutung.
„Ursprunglich als Stellenkommentar konzipiert, verbindet die Untersuchung eine Tiefenerschliesung des Textes mit thesengeleiteter Interpretation. Das Einleitungskapitel bietet neben einer Vorstellung des Werks und seines Autors und einer systematischen Aufarbeitung der Uberlieferungs-, Editions- und Forschungsgeschichte auch eine vorzugliche Einfuhrung in den Illustrationszyklus des Welschen Gastes auf dem neuesten Stand der Forschung.“
Von Christian Schneider
In: Germanistik Bd. 60 (2019), S. 203
Dr. Christoph Schanze (Jahrgang 1982) studierte Germanistik an der Universität Tübingen sowie Musik an der Hochschule für Musik Trossingen. Auf das Staatsexamen folgte ab Oktober 2007 ein Promotionsstudium an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Fach germanistische Mediävistik, zunächst als Stipendiat des GCSC (Graduate Centre for the Study of Culture der JLU Gießen), seit November 2010 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für deutsche Literaturgeschichte mit Schwerpunkt Mittelalter/Frühe Neuzeit. Im Juli 2015 wurde er mit einer Arbeit über Thomasin von Zerklaere promoviert.
Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der didaktischen Literatur des hohen und späten Mittelalters, der Minnelyrik sowie des höfischen Romans (mit besonderem Augenmerk auf der narrativen Auseinandersetzung mit Dingen sowie den poetologischen Implikationen von Helligkeit und Dunkelheit).