Noch immer boomt das Interesse am Mittelalter, zahlreiche Kino- und Fernsehfilme, Romane und Mittelalter-Märkte zeugen davon. Hans-Jürgen Linke untersucht dagegen original mittelalterliche dramatische Texte und ihre theatrale Umsetzung. Jahrhundertelang waren diese aus dem kulturellen Gedächtnis der Allgemeinheit verschwunden: die mittelalterlichen weltlichen Spiele hatte Hans Sachs, die geistlichen die Reformation verdrängt und nur vereinzelt wurde diese Tradition fortgeführt und meist in veränderter Form. Erst an der Wende zum 19. Jahrhundert erwachte wieder das allgemeine Interesse an der mittelalterlichen Dramatik, das seitdem kontinuierlich anhält.
Im Mittelpunkt des Bandes stehen die neuzeitlichen Übersetzungen und Bearbeitungen der mittelalterlichen Dramen, die zum Teil gezielt für eine Aufführung angefertigt wurden, und deren Aufführungen. Der zweite Teil der Untersuchung enthält eine Dokumentation von Aufführungszeugnissen mit mehr als 1.800 Spielnachrichten, mehrere Register und Tabellen runden den Band ab.
Nach Vorbereitungen im 19. Jh. Wird in Deutschland zu Beginn des 20. Jh. das lateinische und volkssprachige, geistliche und weltliche Spiel des Mittelalters wieder zum Leben erweckt. Man spielt bis in die Gegenwart hinein reichlich drei Dutzend der Stücke, teils in modernen Bearbeitungen, immer häufiger jedoch in möglichst großer Annäherung an die historische Aufführungspraxis. Im Strom vielfältiger sozialer, kultureller und religiöser Erneuerungsbestrebungen – wie Jugend –, Laienspiel-, niederdeutsche Bewegung, Reformpädagogik, Theaterreform und Anthroposopie – werden die Spiel getragen zunächst vom Sprechtheater, seit der Mitte des 20. Jh.s zunehmend von Ensembles, die auf mittelalterliche Musik spezialisiert sind; denn die geistlichen Spiele wurden nicht allein schauspielerisch, sondern auch musikalisch dargeboten. Die Arbeit dokumentiert über 3000 Aufführungen und zeichnet den Verlauf des geistlichen und theatralen Prozesses analysierend nach.
„Die Darstellung der Rezeption des mittelalterlichen Dramas und Theaters in der Neuzeit fußt auf einer »möglichst faktenreichen und faktennahen« Materialbasis, bestehend aus über 1.900 Aufführungsbelegen vom Beginn des 20. Jh. bis in die Gegenwart und einer Bibliographie der verwendeten Übersetzungen und Bearbeitungen von lat. und volkssprachigen
Originalen mittelalterlicher Spiele. In der Untersuchung der dokumentierten Aufführungen werden zeitliche (gegliedert in drei Phasen: 1910-1933, 1945-1972, 1982 bis heute) und geographische Spezifika herausgearbeitet sowie Akteure, Repertoires und Aufführungspraxis charakterisiert und im Kontext sozialer, kultureller und religiöser Erneuerungsbestrebungen
wie Jugend- und Laientheater, niederdeutsche Bewegung, Reformpädagogik, Anthroposophie und Theaterreform verortet.
Register und Tabellen erschließen die Belegsammlung. Mit der umfangreichen Kompilation von Quellen und der vielschichtigen Darstellung leistet der Verf. Pionierarbeit und bietet eine ausgezeichnete Grundlage für künftige systematische Ergänzungen mit Aufführungszeugnissen und vertiefte rezeptions geschichtliche Forschungen.“
Von Heidy Greco-Kaufmann
In: Germanistik, Bd. 55, Heft 1-2, 2014, S. 416.
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„Der oben erwähnte letztlich für den Band zentrale, Katalog folgt im Band auf die Untersuchung. Der Katalog ist nach Städten und innerhalb derer nach Aufführungsdaten sortiert. Genannt werden jeweils, sofern möglich, neben dem Text die verwendete Edition oder Übersetzung, der exakte Aufführungsort bzw. die verwendete Bühne, der Aufführungskontext, der Organisator und die Darsteller. Im Anhang an den Katalog der Schauspielbelege werden Aufführungszeugnisse von Puppenspielen genannt. Eine ausführliche Bibliographie, verschiedene Register und tabellarische Übersichten sowie Abbildungen von Aufführungen, Kostüm- und Bühnenskizzen ergänzen den Band. Sie machen Linkes Mammutwerk zu einem für die künftige Forschung zur Mittelalter-Rezeption auf der deutschen Bühne bestens brauchbaren Instrument. So verblüffend auf den ersten Blick eine Übertragung des Neumannschen Katalogs und der als "mediävistisch" empfundenen Methoden auf moderne Schauspielzeugnisse wirken mag, so muss man am Ende des Bands zugeben, dass Linkes Experiment geglückt ist. Natürlich ist das Buch nicht abgeschlossen und kann, wie anfangs angemerkt, noch deutlich ergänzt werden, aber ein riesiger erster Schritt ist getan, für den die Forschung Hansjürgen Linke dankbar sein darf.“
Von Prof. Dr. Cora Dietl
In: Zeitschrift für deutsches Altertum, 2014, 4, S. 522-525.
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„Linkes beeindruckendes und bewegendes Buch beschränkt sich keineswegs auf Lübeck, das nur einer unter mehr als 830 (!) Orten ist, an denen vornehmlich geistliche Spiele des Mittelalters nach mittelalterlichen Textvorlagen in der Neuzeit gespielt wurden. Das fundierte Handbuch enthält sowohl eine Dokumentation vo.n mehr als 1.900 Nachrichten über gut 3.100 Aufführungen weltweit als auch die hierauf fußende Darstellung, in der Linke die Mittelalter-Renaissance auf der Bühne belegt, beschreibt, auswertet und erklärt. Beide Teile, die Dokumentation und die Darstellung, sind so miteinander verknüpft, dass der Leser durch das ausgeklügelte System von Verweisen und Tabellen Linkes Gedankengang und Beweisführung jederzeit folgen und jeden Befund überprüfen kann. Die Studien sind minuziös belegt und dokumentiert und durch Querverweise, Register und den Anhang konsequent erschlossen.“
Von Hartmut Freytag und Hildegard Vogeler
In:Zeitschrift für Lübeckische Geschichte, Band 94, 2014, S.217-225.
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„Das ungemein beeindruckende und bewegende Buch enthält eine Dokumentation von mehr als 1.900 Nachrichten über gut 3.100 Aufführungen mittelalterlicher Spiele in der Neuzeit und die hierauf fußende Darstellung, in der Linke die Mittelalter·Renaissance auf der Bühne belegt, beschreibt, auswertet und erklärt. Beide Teile sind so miteinander verknüpft, dass der Leser durch das ausgeklügelte System von Verweisen und Tabellen dem Gedankengang und der Beweisführung
Linkes jederzeit folgen und jeden Befund überprüfen kann. Das Buch lässt kaum einen Wunsch offen und erfüllt mit seinen reichen Materialien ein Desiderat der Forschung. Linke hat seine Studien minuziös belegt und dokumentiert
und sein Buch durch Querverweise, Register und den Anhang konsequent erschlossen.“
Von: Hartmut Freytag
In: Arbitrium 2014, (32) 2, S. 232-238.
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„Lob verdient die reiche und systematische Materialsammlung, die sicherlich noch zahlreichen künftigen Forschergenerationen als Grundlage und Ausgangspunkt ihrer Arbeit auf diesem Gebiet dienen wird. Besonders hervorzuheben ist auch, dass dem berücksichtigen Corpus nicht allzu enge geographische und mediale Grenzen gesteckt wurden, auch wenn man eine Begründung für die Eingrenzung auf lediglich die deutsche "Mittelalter-Renaissance auf der Bühne" vermisst. Für Forscher wie auch Laien, die sich intensiv mit der Theatergeschichte des 20. und 1 I. Jahrhunderts und der jüngeren Rezeptionsgeschichte des mittelalterlichen Dramas in Deutschland beschäftigen, sowie für eventuell interessierte Träger des heutigen ,Mittelalterbooms' gibt es an dieser Monographie trotz allem sicherlich kein Vorbeikommen.“
Andreas Abele
In: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen, 2012/2013, Ausgabe 34, Heft 2, S. 231-234.
Geb. 1928, Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Köln, dort 1955 Promotion bei Richard Alewyn mit einer Dissertation über Stefan George. Studium der Anglistik und Romanistik in Göttingen und Hamburg, dort 1958 Staatsexamen. 1966 Habilitation für Deutsche Philologie (Gesamtvenia) in Gießen mit einer Arbeit über Hartmann von Aue. 1969 ord. Professor in Köln, emeritiert 1994.
Es ist das Anliegen dieser Buchreihe, in der Dissertationen, Habilitationsschriften, sonstige monographische Darstellungen und Sammelbände erscheinen werden, die Interdisziplinarität der modernen Mittelalterforschung noch mehr hervorzuheben und zu fördern als dies bisher der Fall ist. Angenommen werden Arbeiten aus allen Gebieten der Mediävistik, sofern der Aspekt der Interdisziplinarität darin betont wird, d.h. sofern sie die Grenzen eines einzelnen Faches zu überschreiten suchen.