Towards the end of the 20th century a new interest in the Ottoman and Seljuk past crystallized in Turkish fiction. In the process, not only an array of aspects connected with the “official”, heroic-nationalist version of history were subjected to a critical revision, but new narrative and fictional forms of historical representation developed. Sehnsucht nach Sinn (Longing for Meaning) examines this literary-inspired new definition of history in dialogue with more recent theoretical approaches to genre, which respond to innovative developments, departing from the traditional model of the “historical novel”, in the area of literary history representation.
In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren konnte die interessierte türkische Öffentlichkeit die „Wiederentdeckung“ der Geschichte durch die Literatur mitverfolgen. Daß in dieser Zeit eine ganze Reihe von Romanen erschien, die sich mit Themen der osmanischen oder der seldschukischen Geschichte auseinandersetzten, erschien um so überraschender, als die Zuwendung zur Vergangenheit im türkischen Roman – zumindest außerhalb eines meist nationalistisch aufgeblähten Trivialgenres – kaum eine Tradition hatte.
„Semantisierung von Geschichte“ ist dieser literarischen Neudefinition von Geschichte im modernen türkischen Roman gewidmet. Am Beispiel ausgewählter Romane zeigt die Studie auf, wie das „offizielle“ Geschichtsbild durch die Literatur einer Revision unterzogen wird. Die Autoren der neueren türkischen Geschichtsfiktion wählen für ihre Bücher anderes aus als die heroischen Themen, die bei einer Geschichtsdarstellung unter primär nationaler Perspektive im Vordergrund stehen: nicht das Zentrum der militärischen und der politischen Macht, sondern eher Themen aus dem Bereich der Mentalitäts- und der Wissensgeschichte, nicht die großen Helden der Geschichte, sondern Opfer, Nebenfiguren oder historische „Verlierer“ wie heterodoxe oder vorislamische Strömungen.
Die zentrale Frage der Studie ist jedoch die nach den narrativen Verfahren, mit dem türkische Romane Geschichte semantisieren. Wie in vielen anderen westlichen und postkolonialen Literaturen auch weisen die neueren Beispiele türkischer literarischer Geschichtsdarstellung in eine Richtung, die traditionelle Gattungstypologien sprengt und sich der Einordnung in herkömmliche Kategorien wie etwa die des „historischen Romans“ entzieht. Eine Tendenz zur Vergegenwärtigung von Geschichte fällt dabei genau so auf wie der insgesamt hohe Fiktionalisierungsgrad oder die Tendenz zur Genrevermischung, die dadurch entsteht, daß die Autoren Geschichte mit Elementen der literarischen Utopie, des Märchens oder des mystischen Mesnevi mischen. Besonders auffällig aber ist die Vorliebe für spannungserzeugende Erzähltechniken populärer Genres wie Krimi und Mystery.
Mit seiner Analyse und Interpretation türkischer Romane liefert „Sehnsucht nach Sinn“ Material zur Schreibung türkischer Literaturgeschichte. Darüber hinaus versteht sich die Studie aber auch als Beitrag zu einer allgemeinen Poetik der narrativen Verfahren, mit denen Geschichte literarisiert und fiktionalisiert wird.
„It is clear, however, that Furrer’s book is an important contribution to the history of modern Turkish literature and it alerts scholars even in neighbouring fields to an important genre of Turkish fiction.“
In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes. 96 (2006). S. 561-562.
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„Sowohl die offizielle Geschichtsschreibung als auch die Politik in der Türkei haben ein schwieriges Verhältnis zur eigenen Vergangenheit. Sie ist bis heute geprägt von nationalistischen Diskursen und kemalistischen Vorstellungen. In der Literatur hingegen zeigt sich hierzu – zumindest in den behandelten Romanen – ein anderes Bild: ein unbefangener Umgang mit der Geschichte, plurale Meinungen, Themen, die in der offiziellen Geschichtsschreibung ausgegrenzt sind. Somit leistet die besprochene Untersuchung ebenso einen wichtigen Beitrag zu sozialpolitischen Verhältnissen in der Türkei, jenseits ihrer wertvollen literaturwissenschaftlichen Erkenntnisse.
Die hervorragende Habilitationsschrift von Priska Furrer ist für diejenigen, die sich mit moderner türkischer Literatur beschäftigen, ein Muss. Sie liefert nicht nur neue Erkenntnisse für die Analyse und das Verständnis der einzelnen Romane, ja für die jüngere Literaturproduktion an sich, sondern zeichnet auch wesentliche Aspekte innertürkischer Diskurse zu Geschichte, Literatur und Identität nach. Darüber hinaus ist das Werk all denjenigen, die sich für das Genre des historischen Romans interessieren, zu empfehlen.“
In: Orientalistische Literaturzeitung. 101 (2006). 4-5. S. 508-512.
Priska Furrer
Geboren in Solothurn, Schweiz. Studium der Islamwissenschaft, der Neueren vorderorientalischen Philologie und der Geschichte an der Universität Bern; 1990 Promotion mit einer Dissertation über das erzählerische Werk der türkischen Autorin Sevgi Soysal; 2002 Habilitation mit der Habilitationsschrift „Sehnsucht nach Sinn. Literarische Semantisierung von Geschichte im zeitgenössischen türkischen Roman“, Privatdozentin für Türkische Sprache, Geschichte und Kultur an der Universität Bern; zahlreiche Publikationen zum Bereich der modernen türkischen Literatur. Daneben langjährige Erfahrung im Bildungswesen. Seit 2003 Leiterin Interkulturelle Erziehung im Bildungsministerium des Kantons Aargau/Schweiz.
Literatures in Context is a peer-reviewed book series devoted to Near Eastern and North African literatures. The editors want the title of the series to be understood programmatically. They presuppose a concept of world literature that includes Near Eastern and North African literatures. What is more, they assume that literatures are in many ways marked by intertextuality, that they constitute readings of extremely diverse earlier texts, and that they are posited within a field of tensions, much broader than their respective national language. For the earlier eras of Near Eastern and North African literatures, this field of tensions geographically covers the regions of the Southern and Eastern Mediterranean and Asia Minor. In modern times, it has become a space of interaction that has long since included “global” Western literatures (and realities). This does not imply that the modern Near Eastern and North African literatures have severed themselves from their predecessors. Instead it is precisely the tension between different sets of references in modern Near Eastern and North African literatures, or their “local historical context”, which is a great part of their attraction, that remains a crucial field of research for the modern scholar.