Die Architektur des Kirchenbaus ist zunächst eine leere Hülle. Hier wird für die frühchristliche Zeit der Versuch unternommen, diesen Raum mit seiner bildlichen und liturgischen Ausstattung zu füllen, um darin Gottesdienst zu feiern. Anhand archäologischer Zeugnisse und altkirchlicher Quellen wird die Erlebbarkeit von Raum und Liturgie vor allem aus der Sicht der Gottesdienstbesucher betrachtet. Der verbreiteten Auffassung von der Sakralität des Kirchenraums wird die These gegenübergestellt, dass sich die Gläubigen darin in einem bipolaren Raum zwischen Dominium terrae und Dominium Caelestis befinden.
Der frühchristliche Kirchenbau gehört zu den Hauptthemen der Christlichen Archäologie. In Ergänzung dazu wird hier der Versuch unternommen, die Gestaltung und Ausstattung des Kircheninnenraumes in den Fokus zu nehmen, ihn in seiner Gesamtheit zu beschreiben, um ihn so wahrnehmbar zu machen, wie er in altkirchlicher Zeit genutzt und erlebt wurde. Die kontrovers diskutierte Frage nach der Teilhabe der Laien am liturgischen Geschehen wird dahingehend aufgelöst, dass Vorhänge, Schranken und Gitter ihre Beteiligung während des Verlaufs des Gottesdienstes temporär einschränkten bzw. ermöglichten. Der eigene Schwerpunkt der Ausführungen will die vorherrschende Deutung des Kirchenraumes als Abbild des Paradieses um den Aspekt erweitern, dass er gleichzeitig und nicht minder die ideale Welt verkörpert. Hierfür wird der Ausdruck Dominium terrae gewählt: Im Sinne des Schöpfungsauftrags an den Menschen (Gen. 1, 28) ergeht an ihn die Verpflichtung, die Natur zu kultivieren, und die Verheißung, die Früchte seiner Arbeit zu genießen. Diese auf die irdische Welt bezogene Zusage drückt der Kirchenraum mindestens genauso aus wie die Hoffnung auf ein jenseitiges Paradies. Gestützt wird diese Ansicht durch den reichen Schatz der christlich-archäologischen Denkmäler aus dem 4. bis 6./7. Jahrhundert. Ein Schwerpunkt liegt auf der Frage, wie die Menschen den Kirchenraum zu ihrer Zeit wahrgenommen haben.
„Die Lektüre des Buches machte mir klarer, dass das Bemühen um das Verstehen dieser Fragmente des ersten Jahrtausends einen wichtigen Beitrag dazu liefert, unsere heutigen Kirchenräume, ihre Wahrnehmung und Nutzung besser verstehen zu können, auch wenn dies durch viele Jahrhunderte transformiert wurde. Die archäologischen Funde zu verstehen und sie mit
literarischen Zeugnissen in Beziehung zu bringen ist gewiss keine abgeschlossene Aufgabe. Sörries Buch aber gelingt es,
auf gut lesbare Weise diese Inhalte den heutigen Lesenden nahe zu bringen. Dazu trägt auch ein Glossar bei, wo die Lesenden sich schnell über Fachbegriffe informieren können. Die Lesbarkeit wird auch unterstützt durch einen umfangreichen Abbildungsteil (118 Aufnahmen auf 79 Tafeln). (...) Die Lektüre des Buches ist eine Einladung, zu den frühesten Erfahrungsorten von Kirchenräumen zu folgen und sich anschaulich machen zu lassen. Dass die Bedeutung der Raumatmosphären dabei herausgestellt, nehmen Kirchenpädagog:innen gewiss positiv war. Dass Vf. über die Wahrnehmungsvoraussetzungen der Menschen von damals reflektiert und dabei das Erfordernis der Anschlussfähigkeit bei der Erschließung dessen, was der Kirchenraum mitteilen will, aufgreift macht im Transfer auf heute ebenfalls deutlich, dass die mitgebrachten ,Alltagserfahrungen' relevant sind, um im Kirchenraum die eigene Verortung als Besucher:in resp. Mitfeiernde zu finden. Als Buch zur christlichen Archäologie weckt es weitere Fragen (etwa nach den Gründen dieser spezifischen Entwicklung, die dann auch die damalige Zukunft von Kirche mitbeeinflusste); diese muss sie nicht beantworten, aber es motiviert sich mehr mit der Geschichte der Kirchen zu befassen, um mosaikstückkhaft nach und nach mehr zu verstehen, was unsere Gegenwart ausmacht.“
Bundesverband Kirchenpädagogik e.V., Redaktion Christoph Schmitt, Infobrief November 2021
Reiner Sörries, born in Nuremberg in 1952, is a pastor, professor for Christian archeology and art history at the University of Erlangen and was director of the Museum for Sepulchral Culture in Kassel until 2015. In retirement he devotes himself primarily to Islamic and Jewish art. He lives and works in Kröslin on the Baltic Sea.