Der interdisziplinär orientierte Band vereint Studien zur mittelalterlichen Bedeutungsspraxis in Text und Bild des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Der Zugriff zielt auf die komplexen Bezügen sprachlicher und bildlicher Übertragungen. Mit der Öffnung konventionalisierter Metaphern- und Bildkomplexe, sowohl für Text-Bild-Relationen (intermedial) als auch innerhalb der Medien (intramedial), sind die Verschiebungen und Aufladungen der Text- und Bildsemantiken und damit die Prozessualität des Übertragungsprozesses von besonderem Interesse.
Fragen nach der ‚Bildlichkeit’ von Illustrationen, sprachlich erzeugter Anschaulichkeit oder konkretisierten Begriffen eröffnen nicht nur weite Referenzbereiche, sondern sie legen auch analytisch vielfältige Perspektiven nahe. Der Sammelband geht konzeptuell neue Wege und entwirft einen hermeneutischen Rahmen vom prozessualen Begriff der ‚Übertragung‘ her. Diese Ausrichtung wird auf ihr heuristisches Potenzial geprüft und verbindet dabei die auch experimentelle Frage nach ihrer analytischen Produktivität mit einer Rückversicherung an historischen Metaphernkonzepten. Der interdisziplinär angelegte Band vereint Arbeiten zur mittelalterlichen Bezeichnungs- und Bedeutungspraxis in Text (metaphorische und anschauliche Rede) und Bild (Illustration, Emblematik und Einbandkunst). Ziel der einzelnen Beiträge ist es, den Prozess der Bedeutungsbildung intramedial und/oder intermedial zu beschreiben. Gegen das Dogma eines iconic turn einerseits und die Trennung von Text- und Bildanalyse andererseits, versuchen die Beitragenden die komplexen Relationen sprachlicher und bildlicher Übertragungsprozesse herauszuarbeiten.
Dass Sprache und Bild miteinander in Beziehung stehen, aufeinander einwirken und dabei Bedeutungen verschieben oder erzeugen, ist zunächst kein neuer Befund. Erfrischend und anschlussfähig erweist sich jedoch der Perspektivwechsel, den der vorliegende Band unternimmt, indem er es wagt, Übertragungsphänomene intermedial übergreifend und umfassend in den Blick zu nehmen. Diese Prämisse des Bandes, Sprachbilder und (bild-)künstlerische Darstellungen im Begriff der Übertragung als »anschauliche[ ] Darstellungsformen« (S. 14) zusammenzudenken und als vergleichbar zu betrachten, trägt dabei der Ungeschiedenheit von Sprache und Bild im Mittelalter Rechnung und erweist sich als ertragreich.
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Weiterhin lässt sich, auch das hat der Band überzeugend dargelegt, mit Hilfe des Übertragungskonzeptes das Zusammenspiel verschiedener Medien und verschiedener Sinnebenen gewinnbringend betrachten, wobei auch die Materialität der jeweiligen Medien Beachtung findet.
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Positiv hervorzuheben sind schließlich die Abbildungen in den Beiträgen und am Ende des bandes, mit denen die Überlegungen der Autoren und Autorinnen nachvollzogen werden können. Hier wäre lediglich eine einheitliche Vorgehensweise in der Abbildungsbeifügung wünschenswert gewesen, dies tut dem Ertrag jedoch keinen Abbruch.
Der Anspruch des Bandes war es, mithilfe der Idee der Übertragung ein Verständnis für die spezifischen mittelalterlich/künstlerische Bedeutungspraxis zu entwickeln und Dynamiken der Bezeichnungspraxis zwischen Bedeutungserweiterung und -verschiebung aufzuzeigen (vgl. S. 21). Diesen Anspruch erfüllen die Beiträge und veranschaulichen über die Bandbreite der Untersuchungsgegenstände die Vielfalt und komplexe Mehrdimensionalität von Übertragungsprozessen. Dabei entsteht der Eindruck, dass die mittelalterliche-bildkünstlerische Bedeutungspraxis ein bemerkenswertes Bewusstsein für die Medialität ihrer Gegenstände hat.
Von Tamara Elsner
In Beiträge zur Geschichte der dt. Sprache und Literatur, Bd. 141/3, S. 430-438
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„Die dritte Sektion befasst sich mit intramedialen Übertragungen als „Poetologische[n] Darstellungsverfahren“ [...], und ein resümierender Aufsatz von Jan Mohr versucht im Anschluss noch einmal eine Systematisierung der vorgebrachten Überlegungen. Gerade dieser letzte, vollwertige Beitrag [...] ist von besonderer Wichtigkeit für den Band, stellt er doch in genauer Lektüre und unter nochmals neuer Perspektivierung Verbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen her und knüpft diese an die verschiedenen, in der Einleitung wie in den Einzelbeiträgen angeführten beziehungsweise entwickelten Theoriemodelle an. Auf diese Weise gewinnt die Aufsatzsammlung vom Ende her eine Dichte, die für Tagungsbände nicht selbstverständlich ist.“
Von Stefan Matter
In Arbitrium 2019, 37(2), S. 167-169
Franziska Wenzel, geb. 1969, ist Professorin für Ältere deutsche Literatur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie promovierte zu einem kommunikations- und mediengeschichtlichen Thema, arbeitete in einem interdisziplinären, auf institutionelle Ordnungen hin orientierten SFB, in text- und editionsgeschichtlichen Projekten und sie habilitierte sich zu (Ton-)Autorschafts- und Meisterschaftsformen
hoch- und spätmittelalterlicher Textgefüge. Im Horizont einer visuellen Kultur zählen neben Poetologie, Autorschaftskonzepten, Textualität und Überlieferungsgeschichte Intermedialität und Diagrammatik zu ihren Forschungsinteressen.
Pia Selmayr, geb. 1986, ist wissenschaftliche Assistentin am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Sie studierte Germanistik, Soziologie, Politologie und Philosophie/Ethik an der LMU München, wo sie auch mit einer Arbeit zu „Der Lauf der Dinge. Wechselverhältnisse zwischen Raum, Ding und Figur bei der narrativen Konstitution von Anderwelten im Wigalois und im Lanzelet“ promoviert wurde. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die mittelalterliche Lyrik, Artusepik, Novellistik des Mittelalters, Dingtheorie und Mediengeschichte.
This series, which will comprise doctoral and professorial dissertations and other monographs as well as collective volumes, aims at highlighting and promoting interdisciplinarity in Medieval Studies even more than is currently the case. Works from all branches of Medieval Studies will be accepted, provided they emphasise the aspect of interdisciplinarity, i.e. they attempt to transgress the boundaries of any single subject.